Alex - eine Kinderwunschgeschichte

Schwanger oder noch nicht?

Moderator: Züri Mami

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Kami
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Alex 37
„Nun denken Sie bestimmt in eine falsche Richtung, und das nur, weil ich eine Frau bin“, sagte Frau Meyer ganz ruhig und ein wenig amüsiert. „Ich möchte aus zwei Gründen nicht nach Frankfurt: Zum einen sagte mein Vater immer: „Lieber der erste Im Dorf als der zweite im Land“, und das wäre in Frankfurt so. Nein, ich möchte lieber eine kleine Niederlassung alleinverantwortlich aufbauen und führen, und Frankfurt ist ohnehin nicht mein Traum, aber es gibt da noch etwas anderes: Die Zukunft der Stelle in Frankfurt ist mir mittelfristig zu ungewiss, denn es gibt durchaus Überlegungen, dort umzustrukturieren und eventuell den Marketingbereich gänzlich nach außen zu geben. Out-sourcen ist die Devise. Und dann kann es sein, dass die schöne Stelle, die wir uns beide vorstellen, irgendwann ins Nirwana verschwindet.“ Frau Meyer lehnte sich etwas männlich und sichtlich befriedigt über die Mienen der beiden Gesprächspartner im Sessel zurück. Beide Männer dachten so laut, dass sie es bald fühlen konnte.
„Und jetzt fragen Sie sich, warum ich ausgerechnet Ihnen das sage, oder? Es wäre doch eine elegante Lösung gewesen, Sie loszuwerden… Und sie möchten bestimmt gerne wissen, woher ich das weiß.“ Wieder machte sie diese lange Pause, die Matthias so irritierte, weil das eigentlich seine Masche war, den Gesprächspartner aus der Reserve zu locken. In diesem Augenblick hätte es ihn nicht gewundert, wenn Frau Meyer ihm eine schwarze Kohiba angeboten und diese dann kunstvoll mit einem silbernen Schneider abgekniffen hätte.
„Okay, ertappt. Geben Sie mir die Auflösung des Rätsels?“ Mit diesem lockeren Spruch hatte er das Eis gebrochen, und Frau Meyer lachte aufatmend. Sie nahm die virtuelle Hand, die er ihr dadurch gereicht hatte.
„Also, ich weiß es von Herr Ludwig, aber nicht, was Sie denken, seine Ehe und damit Ehre ist unangetastet – zumindest durch mich“, den letzten Satz sagte sie mit einem belustigten und leicht ironischen Lachen. „Unsere Eltern waren schon Freunde, als wir noch Kinder waren, und deshalb hat er mir diesen Tipp gegeben. Allerdings nicht ganz ohne Hintergedanken, denn er hat mir eine Idee präsentiert, die mir seitdem nicht aus dem Kopf ging, und heute, nachdem unsere zugegebenermaßen zunächst erzwungene Zusammenarbeit so reibungslos geklappt hat, schien mir die Zeit reif, es mit Ihnen zu besprechen.“
Matthias war nun äußerst gespannt, und auch Ralph hatte sich im Sitz nach vorne geschoben, um bei dieser annähernd konspirativen Sitzung kein Wort zu verpassen.
„Die Firmenspitze erwägt eine Ausweitung ins europäische Ausland, und zwar nach London. Und dazu soll eine Arbeitsgruppe zunächst für 5 Jahre gebildet werden, die dies vorbereitet, mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet und eigenverantwortlich tätig. Es soll eine Gruppe von ca. 7 Mitarbeitern sein, von denen jeweils einer federführend hier und in London die Möglichkeiten, Probleme und so weiter der Firmengründung abklärt, und das in kooperativer Zusammenarbeit: Man verspricht sich dadurch eine Art Probelauf einer internationalen Zweierspitze. Klappt es, wird die Firmengründung, die bis dahin nur Low Level erfolgt, mit allem, was dazu gehört durchgezogen und ausgeweitet und das Zweiergespann, wenn es denn gut zusammenarbeitet, was die größte Schwierigkeit und größte Chance ist, für seine Mühen belohnt, klappt es nicht, kommen wir hierher zurück, allerdings ist dann ungewiss, was mit uns passiert. Ein lukrativer und interessanter Feuerstuhl, aber phantastisch in der Aufgabe, wenn es klappt… Wenn Sie mich fragen Ich würde es für diese 5 Jahre tun, Frage ist, ob es mit uns beiden klappen kann, und wer nach London geht. Derjenige, der nicht geht, muss etwa alle 10 Tage dorthin kommen, das muss ihm klar sein.“
Diese Worte hingen noch in der Luft, als Frau Meyer Matthias erwartungsvoll ansah. Eine lange Pause entstand und Matthias atmete erneut hörbar aus. „Wow, das ist harter Tobak. Das hatte ich nicht erwartet…“ Er lehnte sich im Sessel zurück und schaute Frau Meyer entspannt an. „Naja“, meinte er nun seinerseits lächelnd, “wir müssen es ja nicht sofort entscheiden, wir könnten ja gemeinsam ein Strategiepapier entwickeln und dabei bereits sehen, wie sich die Zusammenarbeit gestaltet….“ Dass er das ebenso mit Alex würde absprechen müssen, daran dachte er nicht, denn für ihn war zumindest eines klar: Das Problem Alex- Frankfurt hatte sich gelöst.

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Alex 38
Als Matthias nach hause kam, war Alex bereits bestens für das bevorstehende Gespräch präpariert. Alle Insignien des Kinderwunsches waren verschwunden, in ihrem Kleiderschrank waren die weiten „Erwarte-baldige-Schwangerschaftskleider“ nach hinten gerückt und die eher eng geschnittenen Röcke und Kleider auffällig in vorderer Reihe aufgehängt, ebenso war sie mit den Blusen und Pullovern verfahren. „Wäre doch gelacht, wenn ich den nicht kriege“, dachte Alex in Erwartung der Reaktionen von Matthias. Dem Gedanken, dass sie ja wohl schon schwanger war, hatte sie insofern Rechnung getragen, als sie die dafür geeigneten Kleidungsstücke in einem gesonderten Fach leicht zugänglich aufbewhrte. Die mit ihrer Reaktion verbundene Inkonsequenz, gerade jetzt, wo sie den positiven LH-Test in der Hand hatte, die engeren Kleider herausgeholt zu haben, hatte sie in Gedanken schnell als notwendige Handlung abgetan.
Und so saß Alex äußerlich entspannt auf dem Sofa, die Versöhnungssektgläser auf dem Beistelltisch neben sich, eines davon scheinbar schon halb geleert (nur dass Alex wegen des Testes nicht einen Schluck getrunken hatte, aber der Lippenstift war an der richtigen Stelle und das Glas innen einseitig korrekt benetzt), das zweite noch leer. Sollte Matthias doch selbst entscheiden, ob er sich zu ihr setzen wollte.
Im Recorder lief das Video ihrer Hochzeit, minutenlang hatte Alex vor- und zurückgespult, um die Szene des schönsten Kusses zu dem Zeitpunkt laufenzulassen, in dem Matthias ins Wohnzimmer kommen und sie begrüßen würde.
„Der perfekte Mord wäre leichter inszeniert“, dachte Alex und lächelte grimmig.
Endlich hörte sie den Schlüssel im Schloss und kurz darauf kam ihr Mann auch schon am Wohnzimmer vorbei, unsicher durch den Spalt schauend, welche Szene sich dahinter verbarg. Und diese hätte kein besseres Regiebuch haben können, denn Alex hatte die Gläser so gestellt, dass sie durch den Türspalt zu sehen waren. Leichte Orientierung dazu hatte sie bei Loriot gefunden, als er sagt „das Bild hängt schief“, der Betrachter aber durch den Türspalt nur eine scheinbar intakte Möblierung sieht, nicht aber das Chaos, das sich dahinter verbirgt. Und genauso hatte es sich Alex vorgestellt, die perfekte Fassade, und Matthias sah nicht, was sich dahinter verbarg. Für derartigen Hintersinn hatte sie schon immer ein Faible gehabt.
Wie vorauszusehen kam Matthias sichtlich erfreut, dass sich die unangenehme Stimmung des Vorabends so schnell verflüchtigt hatte, und mit dem reinen Gewissen, gar nicht nach Frankfurt zu gehen, ins Zimmer.
„Hi, sieht gemütlich aus hier…“ begann er zögerlich tastend den Dialog und warf dabei erst einen Blick auf die Gläser und dann auf den Fernseher, wo er als Bräutigam im Frack innig seine wunderschöne Braut küsste. Alex schaute ihn nur an und schwieg.
„Ach Mensch, unser Hochzeitsvideo….wir sind ganz schön glücklich, was?“ redete er weiter die Stille überbrückend.
„Ja, waren wir, wer hätte da gedacht was noch alles vor uns liegt, was…“ half Alex ihrem Mann nun und fuhr fort. „Matthias, ich habe noch einmal über Frankfurt nachgedacht, und über meinen Kinderwunsch. Und im Prinzip hast du ja auch recht, ich bin doch sehr auf den Job fixiert, ist schon richtig, dass du das immer wieder bemängelt hast.“
Matthias strahlte. Genau das hatte er ihr immer wieder gesagt, sie reibe sich ja auf, und als Frau mit einem gut verdienenden Mann müsse sie eigentlich ja nicht ihr eigenes Geld nach Hause bringen. „Ich habe mich immer gefragt, warum du so darauf pochst, zu arbeiten, es reicht doch, wenn ich von morgens bis abends aus dem Haus bin“, unterstützte er sie nun. Und vergaß dabei die eine Kleinigkeit: dass es für Frauen vielleicht ebenso viel Spaß bedeutet, sich beruflich zu beweisen, wie für Männer. Matthias strahlte, seine Frau war doch die Beste. „Ich habe dir ja immer gesagt, du könntest auch schönere Dinge tun.“
Sichtlich erleichtert, dass Matthias so schön mitmachte, Alex fuhr fort: “Ich habe auch darüber nachgedacht, dass du dich noch nicht als reif für ein Kind ansiehst, und vermutlich hast du auch darin recht. Es wäre falsch, wenn ausgerechnet du ein Kind zeugen würdest, Kinder brauchen Liebe und unbedingte Zuwendung, und das kannst du noch nicht geben, das sehe ich ein.“ Sie holte kurz Luft und fuhr fort. „…und dabei musste ich mir eingestehen, dass ich der Auffassung bin, dass Männer, die dem Kinderwunsch ablehnend gegenüberstehen, auch keine Kinder zeugen sollten. Vermutlich werden sie – ähem, also du .- nie dazu in der Lage sein, ein Kind liebevoll anzunehmen.“ So, nun war es raus. „Aber vielleicht ändert sich das ja noch…“ fügte sie versöhnlich hinzu. Und dann „Also habe ich mich entschlossen, den Kinderwunsch aufzugeben, und um mich den schönen Dingen des Lebens zuwenden zu können, habe ich mich gleichzeitig aus der Firma beurlauben lassen, denn ohne Kind reicht dein Verdienst dann ja für uns beide.“
Matthias starrte sie an. Das waren zwei schwer verdauliche Informationen für ihn, und während er im Unterbewusstsein ungemütlich speicherte, dass, wenn sein Job in London nicht erfolgreich sein würde, auch Alex keinen Verdienst haben würde, fand er die Information, seine Gene wären es nicht wert, weitergereicht zu werden, einfach unglaublich. Denn das war die reduzierte Aussage, die bei ihm ankam.
„Wie meinst du das, ich sei nicht reif dazu? Meinst du, andere Eltern wären reifer als wir?“ Mit Genuss registrierte Alex das „Wir“, das zum ersten Mal seit langer Zeit in Hinblick auf den Kinderwunsch auftauchte, und die Tatsache, wie echauffiert Matthais nun war. Wo war jetzt der coole Geschäftsmann?
„Naja, aber wir haben ja noch Zeit. Und wenn ich dann zu alt sein sollte, dann bleiben wir eben kinderlos, das ist ja auch nicht schlimm. Du weißt ja, allein die Häufigkeit des Einsprunges schon wird mit jedem Jahr ungewisser, und sogar der männliche Sperma kann qualitativ schlechter werden. Aber darüber müssen wir uns ja zum Glück keine Gedanken mehr machen. Und über das Muss des Sex auch nicht mehr.“ Alex hatte diese Sätze vorher reichlich üben müssen, aber nun konnte sie über das gesamte Gesicht strahlen. „Prost, mein Schatz!“ und goss Matthias den Sekt ein, wohlwissend, dass ihr Mann nun lieber einen kräftigen Schnaps hätte haben wollen.

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Alex 39
Der weitere Abend verlief äußerlich harmonisch, Matthias war irgendwie geistig abwesend und reagierte nur recht mechanisch, als sie fragte, ob sie gemeinsam einen Film sehen woll-ten. Im Fernsehen gab es einen Krimi, in dem die Ehefrau des Kriminalisten diesen völlig entnervt, weil sie ständig neue Rezepte ausprobierte und nie Hausmannskost auf den Tisch kam. Alex registrierte dies als gute Idee für den nächsten Tag und nahm sich vor, sich die essen & trinken zu holen. Immerhin würden die nächsten Tage anstrengend für sie werden.
Matthias hatte sich mit seinem Sektglas neben Alex auf die Couch gesetzt und diese lag nach einer Weile in seinem Arm eingekuschelt, Phoebe zu seinen Füßen. Eigentlich war also alles wie immer, doch Matthias fühlte sich nicht so recht wohl in seiner Haut. Irgendetwas lief falsch, aber er konnte seine Gedanken nicht so recht sortieren. Und dass er gar nicht mehr nach Frankfurt gehen würde, hatte er bisher gar nicht zum Besten geben können!
„Übrigens, Schatz, diese Idee mit Frankfurt, du weißt schon, dass wir dort hinziehen. Ich ha-be mir gedacht, dass ich das nicht annehme, eigentlich mag ich Frankfurt ebenso wenig wie du. Was sagst du jetzt?“ Er schaute Alex ganz stolz an und glaubte sich in dem Augenblick selbst, dass es seine eigene Entscheidung war. So war er eben!
„Hmm… toll Schatz, dann kann ich ja in den nächsten Wochen die Wohnung renovieren!“ war die einzige Entgegnung von Alex, die allerdings innerlich einen Freudensprung machte, aber das hätte jetzt nicht ihrer Rolle gepasst.
Matthias war empört und in seiner männlichen Eitelkeit gekränkt. Da machte er ihr das Ge-schenk, auf ihre Wünsche eingegangen zu sein und entsprach ihrem Willen, nicht zu gehen, und sie reagierte gar nicht!
„Freust du dich denn gar nicht?“ Dieses Nachbohren hatte er Alex schon oft zum Vorwurf gemacht, aber in diesem Augenblick fiel ihm nicht auf, dass er es genauso tat.
„Doch, klar“, sagte Alex betont schläfrig und kuschelte sich noch tiefer an ihn, wobei sie wie zufällig eine recht empfindliche Stelle an ihm berührte. „Aber für dich hätte es ich den Umzug in Kauf genommen, und da gibt es bestimmt auch ganz tolle Angebote, Kurse zu belegen oder so. Aber so ist es natürlich besser.“ In Gedanken klopfte sich Alex auf die Schulter, sie benahm sich wie eine Gummiwand und bot Matthias aber auch gar keinen Angriffspunkt. Bisher hatte sie die Fortbildungen in Gesprächsführung immer als langweilig abgetan, aber nun war sie froh, einige davon hinter sich gebracht zu haben. Das Lächeln auf ihrem Gesicht war insofern echt.
Zum Glück wurde in diesem Augenblick der Krimi wirklich spannend und Matthias war abge-lenkt von Gespräch mit seiner Frau, die sich wieder ein wenig räkelte und ihn erneut wie un-beabsichtigt unsittlich berührte.
Eine Dreiviertelstunde später war der Krimi vorbei, der Mörder war wie immer durch die Ge-nialität des Detektivs gefasst und die Hauptfigur konnte sich an einem Imbiss mit Fish’n Chips ungesund den Magen füllen, ehe er zu seiner Frau nach Hause ging - Zeit zum Ins-bettgehen also.
Alex stand umständlich auf, nicht ohne erneut Matthias ein wenig an seine innersten und äußerst männlichen Bedürfnisse zu erinnern, und gähnte.
„So, Schatz, ich gehe jetzt ins Bett“, und gab ihm einen zärtlichen Kuss.
„Hmmm… Alex, hast du Lust… also, willst du nicht ins Schlafzimmer mitkommen?“ war sein leiser Versuch, den Abend völlig harmonisch ausklingen zu lassen.
„Schatz, das ist ganz lieb von dir, aber das Gute ist: Wir müssen jetzt keinen Sex mehr auf Bestellung haben, und eine Pause wird mir gut tun. Sonst war es doch immer so, dass wir die fünf Tage vor dem Eisprung Dauerkopulieren geübt haben, und das zehrt. Ich denke, wir sollten mal wieder ein wenig relaxen.“ Und dann, in der Tür zu „ihrem“ Zimmer stehend dreh-te sie sich noch einmal zu ihm um – auf diesen Augenblick hatte sie den ganzen Abend schon gewartet - und schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln: „Weißt du, Matthias, irgendwie bin ich auch froh, dass wir mit dem Kinderwunsch erst einmal abgeschlossen hatten. Denn bei mir ist ja alles in Ordnung, hat mir die Frauenärztin bestätigt, und den Druck eines schlechten Spermiogramms … na ja, ich hatte immer Angst, dass du das nicht so gut ver-kraften würdest, aber nun musst du mir ja nichts mehr beweisen“, drehte sich um und zog die Tür hinter sich zu.

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Alex 40
Matthias war mit der Türklinke in der Hand abrupt stehen geblieben. Was sollte denn das heißen? Schlechtes Spermiogramm? Wovon redete sie denn, sein Samenerguss war doch vorbildlich! Und er konnte sich rühmen, mit der Genauigkeit einer Schweizer Uhr zu ejakulie-ren! War Alex jetzt völlig von Sinnen? Und was hieß das, bei ihr sei alles in Ordnung? Sie wollte doch nicht allen Ernstes behaupten, dass bei ihm etwas nicht stimmte. Das war ja völlig absurd!
Den Kopf schüttelnd ging er in sein Fußballzimmer und besah sich das Chaos, das er zurückgelassen hatte. Egal, jetzt wurde geschlafen, morgen war ein neuer und anstrengender Tag. Und er musste Alex noch fragen, ob er ihren Wagen morgen… ob er noch einmal zu ihr gehen sollte? Aber das Schließen ihrer Tür war doch so deutlich – nicht in der Lautstärke, sondern in der Art der Aussage gewesen, dass er das nicht wagte.
Matthias gehörte immer zu den Menschen, die sich nur im Bett umzudrehen brauchten, um schon zu schlafen. Doch heute wollte ihm das nicht so recht gelingen, zu viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Alex hatte ihren Job aufgegeben, ohne ihn davon zu informieren. Das war aber doch etwas, was man gemeinsam besprach! Immerhin betraf es ja ihrer beider Zukunft.
„Naja, okay, ich habe ihr das ja doch öfter angeboten“, dachte Matthias, aber er hatte ja nie damit gerechnet, dass sie das auch tun würde. Er war empört, wie konnte sie eine solche Entscheidung ohne ihn treffen und ihn vor vollendete Tatsachen stellen! Und dann diese Unterstellung, er sei nicht reif für ein Kind. Hatte er sich nicht ganz prima mit Max unterhalten? Und Spaß gemacht hatte es auch, das musste er zugeben. Ehrlicherweise musste er allerdings eingestehen, dass er selbst von sich überrascht war, wie viel Spaß er daran gehabt hatte. So einen kleinen Max hatte er sich in diesem Augenblick schon gut vorstellen können. Aber er hatte ja noch Zeit, mit Mitte 30 mußte er ja noch nicht in Panik verfallen.
„Was hatte Alex gesagt? Sie hatten ja noch Zeit, und wenn es dann nicht klappen würde, wäre es ja auch egal“, sinnierte Matthias vor sich hin. Das hieße aber, dass sie mit ihrer Entscheidung wieder einmal ihrer beider Zukunft in die Hand nahm, denn wenn es dann wegen Alex’ Alter nicht mehr klappen sollte, dann wäre er ja auch Leidtragender. Auf der anderen Seite, jetzt schon ein Kind, warum eigentlich? Oder auch, warum eigentlich nicht?
Wenn er allerdings nach London gehen sollte, dann könnte Alex ohnehin nicht arbeiten (wo-bei er den Gedanken, dass sie es schon jetzt nicht mehr tat, zunächst verdrängte). Und ein Kind könnte zweisprachig aufwachsen. Er wäre dann „Daddy“. Matthias gefiel sich plötzlich in dem Gedanken, einen englisch-brabbelnden Max an der Hand zu haben. Was für ein nettes Bild er abgeben würde! Er mit seinem Sohn im Regent’s Park! Aber nicht jetzt. Und außerdem wollte Alex ja nicht mehr.
Mit diesen und anderen Gedanken verfiel er in einen ungewohnt unruhigen Schlaf, er träumte von Ilse, die ihm vorwurfsvoll Dinge sagte wie „Siehste Junge, ich hab’ es dir immer ge-sagt…“ und von Alex, die mit Lockenwicklern am Frühstückstisch saß. Und in einer andern Szene sah er sich in einer langen Schlange bei der Agentur für Arbeit stundenlang anstehen, vor ihm Ralph und hinter ihm Frau Meyer, mit denen er sich die ganze Zeit stritt, was sie bei ihrem Projekt besser hätten machen können. Kein Wunder also, dass er schlecht schlief…
Alex hingegen hatte Phoebe noch in ihr Zimmer gelassen und dachte über den Abend nach. Fast schon hatte Matthias ihr leid getan, wie er so von ihr überrumpelt wurde, aber sie war bis ins Mark von ihm getroffen mit seiner Art, ihr Leben zu bestimmen, und dafür sollte er büßen! Klar war dabei ja, dass sie eigentlich damit ihre Ehe retten wollte, auch wenn ihre Strategie etwas ungewöhnlich war. Ihre Katze im Arm schlief sie tief und fest ein.
Leider fand dieser Schlaf um etwa 3 Uhr ein jähes aber typisches Ende, sie musste die diversen Tees ins Bad bringen. Zuvor kramte sie allerdings das dafür bestimmte Schnapsglas heraus, denn es war ja früher Morgenurin. Oder sollte sie dann den vom Morgen nehmen? Egal, sie würde beides tun und beide Tests benutzen. Allerdings war bei beiden der Zeitraum zum letzten Wasserlassen recht kurz, und sie hoffte, dass das ausreichen würde.
Phoebe vorsichtig zur Seite stupsend begab sie sich also ins Bad. „Guten Morgen Klothilde“, sagte sie im Tran. Sie hatte zur Vorsicht auch ein Teststäbchen mitgenommen, besser ist besser, und entschied kurzfristig, unter Umgehung des Glases einen Direkttest zu machen. Minutenlang starrte sie auf den Test, der sich im Vergleich zum Vortag nur ganz leicht rechts verfärbte. Alex war enttäuscht. Kein positives Orakel mehr? Ihr kamen fast die Tränen, aber sie deutete es so, dass der Zeitraum zur Anreicherung des Urins eben doch zu kurz war. Und mit dieser Erklärung begab sie sich einigermaßen getröstet wieder ins Bett, Phoebe eng ansichziehend.

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Teil 41
Pünktlich um 6 Uhr setzte Phoebe ihre hypnotischen Kräfte ein, um ihre Dosenöffnerin zu wecken: Die Katze saß auf dem Schreibtisch, wie so häufig in diesem Zimmer bequem auf Unterlagen für die Steuer platziert und starrte Alex unverwandt an. Und Alex’ innere Uhr war schon so ausgeprägt, dass sie prompt die Augen aufschlug, oder dies zumindest ernsthaft versuchte. „Na du kleine Ratte“, schmunzelte sie und räkelte sich. Wieder einmal beglückwünschte sie sich zu ihrem Entschluss, das Temperaturmessen aufgegeben zu haben, weil vermutlich schon ihr morgendliches Räkeln das Ergebnis verfälscht hätte. Zumindest meinte sie das. Und heiß war ihr heute, was sie mit Freude feststellte. Also ganz subjektiv betrachtet konnte sie sich schon vorstellen, bei der Körperwärme schwanger zu sein.
Mit einem zielgerichteten Schlenker zum Katzenfutter ging Alex ins Bad, um einen neuen LH-Test zu machen. Natürlich fiel auch dieser negativ aus, aber Alex hatte schon gar nicht mit einem positiven Orakel gerechnet aufgrund der zwiegespaltenen Nacht und dessen Morgenurins.
Für diesen ersten Tag ihrer angebrochenen neuen Lebensphase hatte sie sich etwas sehr Schönes ausgedacht. Übrigens hatte sie sich sehr wohl beurlauben lassen, aber anders, als sie Matthias hatte glauben lassen. Tatsache war, dass ihr Chef sie gebeten hatte, ihren restlichen Urlaub aus dem Vorjahr in dieser Zeit zu nehmen, weil im Büro erfahrungsgemäß saisonal derzeit etwas weniger zu tun war, und genau das hatte sie getan. Vier Wochen frei! Allerdings mit der Bitte, bei Fragen umgehend zur Verfügung zu stehen und im Zweifelsfall auch ins Büro zu kommen. Aber das musste Matthias ja noch nicht wissen.
Phoebe umkreiselte schnurrend ihre Beine und stand ständig im Weg, als Alex das Frühstück vorbereitete. Und dabei sang sie lauthals. Mit einer Tasse heißen Kaffee – mit sauberem Zucker übrigens- klopfte sie an die Schlafzimmertür und öffnete sie mit den Worten: “Guten Morgen, mein Schatz, hast du gut geschlafen?“ Matthias Versuch, sich tot zu stellen, half nichts, unbarmherzig gab seine Frau ihm einen Kuß auf die unrasierte Wange, um dann die Vorhänge zu öffnen. „Aufstehen, das Frühstück ist fertig!“ Und damit rauschte sie aus dem Zimmer.
Vor der Tür musste sie fast laut loslachen, denn Matthais war absoluter Morgenmuffel, und nichts war für ihn schwerer zu verdauen als eine fröhlich schmetternde Ehefrau am Morgen. Beschwingt stimmte sie erneut ein Lied an und suchte im Radio den Küchensender ihrer Mutter. „Ha, das ist er!“ dachte sie triumphierend, als Helmut Lotti aus dem Äther schallte.
Als Matthias sich unter körperlicher Zuhilfenahme des Kaffees aus dem Bett geschält hatte, prangte auf dem Frühstückstisch bereits ein vollständiges Frühstück mit frisch gebackenen Brötchen, Rührei, Speck, Butter und Marmelade und sogar seiner geliebten Nutella. Alex hatte an alles gedacht, sie saß am Tisch, neben sich einen Kaffee und las eine Frauenzeitschrift (die sie extra für diesen Zweck von einer Bekannten erbeten hatte, weil der Inhalt so gut zu ihrer Strategie passte). Ihrem Mann warf sie einen aufmunternden Blick zu und sagte: “Kommst du? Das Rührei wird kalt. Ich dachte, ich mache jetzt jeden Morgen gemeinsames Frühstück. Ist bestimmt gut für unsere Beziehung, oder?“
Matthias war sich da gar nicht so sicher. Einerseits hatte er noch schwer an den Informationen des Vorabends zu knabbern, andererseits war er eben Morgenmuffel, und das schloss bisher ein, dass Alex seine morgendliche Zeit respektierte und damit ebenso, dass er nie ausgiebig zuhause frühstückte. Aber auch er musste in diesem Augenblick einsehen, dass er nichts, was seine Ehe verbessern würde, ablehnen durfte, wenn er Alex halten wollte, und sie gab sich ja besonders Mühe. Also unterdrückte er ein Knurren und presste ein „Ich putze mir nur schnell die Zähne und wasche mich“, heraus, um erleichtert in die Ruhe des Bades zu verschwinden.
Während Matthias mit einem äußerst unguten Gefühl im Bad werkelte, saß Alex wie die Spinne im Netz, die auf die Fliege wartete. Die Zeitschrift neben ihr interessierte sie eigentlich nur wenig, hier stand nur, dass Prinzessin Letizia nun doch endlich schwanger geworden war.
„Wie hat die dünne Trulla das bloß geschafft?“ fragte sich Alex neidisch.
Endlich kam Ihr Mann aus dem Bad und setzte sich auf seinen angestammten Platz. Alex reichte ihm ungefragt alles, was er brauchte und strahlte ihn an. „Möchtest du etwas Rührei? Ist es dir genug gewürzt?“ plapperte sie vor sich hin. Wie oft hatte er sich beklagt, dass mit der Berufstätigkeit seiner Frau die häusliche Gemütlichkeit zu kurz kam, und das hatte er nun davon.
„Danke, Alex, ich habe alles, es ist ja doch ganz schön viel und du weißt, dass ich…“
Alex ließ ihn gar nicht ausreden und sagte genau das, was Ilse gesagt hätte (wobei sie das Wort „Junge“ natürlich aussparte): „ Aber du musst dich doch vernünftig ernähren. Und morgen probiere ich dann einmal frisches Obst und Müsli, okay?“ Und setzte dabei ihr umwerfendstes Lächeln auf, so dass sich Matthias nicht traute, etwas dagegen zu sagen. Aber ihm schwante in diesem Augenblick, dass eine Alex ohne konkrete Aufgabe für den Tag, wie es die Arbeit gewesen war, eine ganz andere als seine geliebte Ehefrau war…
„Sag’ einmal, ich brauche deinen Wagen, weil meiner in der Werkstatt ist…“
„Tut mir leid, Schatz, ich brauche ihn auch, ich wollte mich bei der VHS für ein paar Kurse anmelden. Ich dachte, ich fange mit etwas in Richtung Handarbeit an, so Makramee oder Klöppeln, was meinst du?“
Matthias fiel nun fast der Unterkiefer runter und murmelte nur ein „Wenn du meinst…“, fügte dann leicht ergeben an: “Kann du mich denn ins Büro bringen?“ Worauf Alex enthusiastisch entgegnete: „Gerne, und abholen kann ich dich auch, ich habe dann ja Zeit für dich.“
Dass dieses Verhalten für Matthias ungewohnt war, sollte klar sein, er fühlte sich schlichtweg äußerst unwohl in seiner Haut mit einer frisch gebackenen Hausfrau, wie er sie sich früher immer erträumt hatte. Was hatte seine Mutter immer gesagt? „Wünsch dir nichts unbesonnen, es könnte wahr werden.“
„Ich suche mir eben eine passende Krawatte“, mit diesen Worten wollte er Reißaus nehmen, doch in diesem Augenblick blickte Alex von ihrer Zeitschrift auf und fragte: „ Zeig mal deine Hände, hier steht etwas über Zeugungsfähigkeit und Fingerlänge: „…dass Männer besonders zeugungsfähig sind, deren Zeigefinger in Relation zum Ringfinger extrem kurz sind. Bei Frauen verhält es sich genau andersherum: Sie sind fruchtbarer, wenn ihr Ringfinger nicht oder kaum länger ist als der Zeigefinger.““ Und fügte mit einem Blick auf seine Hand an: „Ach, musst nicht traurig sein, ist ja nicht so wichtig.“

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Teil 42
Völlig entspannt brachte Alex Matthias zu seiner Firma, und teilte ihrem Mann bei dessen Aussteigen beiläufig mit, dass sie nun shoppen ginge und dazu Geld vom gemeinsamen Konto abheben wolle.
„Du hast doch nichts dagegen, oder, Schatz?“ Alex strahlte ihr neues befreites Lachen, und das Blitzen in ihren Augen war echt. Schon immer hatte sie es sich gewünscht, einfach einmal so durch die Läden zu gehen und nach Herzenslust einzukaufen, doch bisher hatte sie immer Gründe gefunden, warum das nicht ging, das eine Mal fand sie sich selbst zu moppelig und wollte mit der Figur nichts Neues kaufen, das andere Mal war sie zu geizig.
„Männer denken immer, es gibt tausend Gründe, Geld auszugeben, dabei gibt es tausend Gründe, kein Geld auszugeben.“ Und mit diesen Gedanken holte sie zunächst die Maximalsumme an Bargeld aus dem Automaten und zog los. Sie hatte einen etwas zu eng gewordenen Pullover an, und leider zeichnete sich darunter ihr Kinderwunschbauch deutlich ab. Wie oft hatte sie ihn nur zum Spaß herausgestreckt, doch heute störte er sie schon. Ihr schien sich fast die Jacke ein wenig nach vorne zu wölben.
„Naja, es kann ja auch sein, das das ein echter Kugelbauch ist. So in Anfängen…“ kommentierte sie ihr Spiegelbild im Schaufenster.
Zielstrebig steuerte sie auf einen kleinen Laden zu, der ihr schon lange durch seine farblich aufeinander abgestimmte und liebevoll gestaltete Dekoration im Schaufenster aufgefallen war. Ein Blick auf die Preisschilder bestätigte ihr, dass dies durchaus ein Laden war, in dem sie kaufen konnte. „Mittleres Preissegment würde der Fachmann sagen“, murmelte sie vor sich hin und wunderte sich schon gar nicht mehr, dass sie mit sich selbst sprach. Oder war das ein Signal des Körpers, dass sie gar nicht mehr alleine war?
Frühjahrs- und Sommermode war ausgestellt in freundlichen Orange-Gelbtönen mit Dunkelbraun und frechem Grün. Und zu allem waren passende Taschen, Tücher oder Schuhe drapiert.
Beschwingt betrat Alex das kleine Lädchen, in dem eine Verkäuferin umsichtig versuchte, einer Käuferin größeren Ausmaßes den Kauf eines zu engen Oberteils auszureden.
„Wir haben hier noch ein entzückendes anderes Stück, wenn Sie das vielleicht noch einmal probieren möchten? Es passt so wunderbar zu ihrem Teint und würde den Rock so gut ergänzen.“
Keine Frage, hier war ein Profi am Werk. Alex ging versonnen an den Ständern mit Kleidern vorbei auf die Oberteile zu. Eine in leuchtenden Orange- und Rottönen gemusterte Bluse aus weichfließendem Stoff hatte es ihr besonders angetan, das ab und zu auftauchende Dunkelbraun paßte genau zu ihren Augen und zu ihrem Haar, das sie ja wieder mit einem Rotton tönen würde. Nach der Mens, versteht sich. Und fröhliche Farben für heiße Tage hatte sie bisher auch nicht, sie war eher der klassische Typ, der den Sommer in Weiß oder Blau verbrachte. „Dazu eine kaffeebraune Leinenhose wie die da drüben“ sinnierte Alex und ließ sich den Stoff durch die Finger gleiten. Ein prüfender Blick auf die Pflegehinweise beruhigte sie weiter. “Klasse da kann die Kleine dann auch mal ein feuchtes Bäuerchen machen, wenn … ist ja gut waschbar.“ Alex nahm die Bluse vom Ständer und schritt in Richtung Umkleidekabine, in der die dralle Käuferin umständlich versuchte, aus dem engen Oberteil zu kommen. Im Gegensatz zu Alex hatte sie ein Teil Marke „Kittelschürze“ erwischt, von dem sich Alex nicht hätte träumen lassen, dass es das überhaupt in diesem Laden gab, es war bläulich gemustert und hatte einen runden Ausschnitt, keine Ärmel und fiel figurschonend über alle Rundungen des weiblichen Körpers. Dennoch hörte sie ein triumphierendes „Nehm ich!“ aus der Nachbarkabine. Ebenso hörte sie einen ergebenen Seufzer vor der Kabine, das durch ein anschließendes „Dann tippe ich es Ihnen schon mal ein…“ beendet wurde.
Mit leichtem Lachen zog Alex die von ihr auserkorene Bluse an, die über dem Busen, den sie heute etwas praller fand als sonst, etwas locker saß. Vielleicht etwas zu locker? Sie drehte sich vor dem Spiegel, als eine zweite Verkäuferin sie ansprach. „Kann ich Ihnen helfen?“ Eigentlich mochte es Alex nicht so, wenn sie durch das diskrete Nachfragen von Verkäuferinnen das Gefühl bekam, sich drängen zu lassen oder ihr Geheimnisse wie Kleidergröße oder BH-Körbchen anzuvertrauen, doch diese bot recht selbstverständlich ihre Hilfe an.
„Siehst perfekt bei Ihnen aus, und die Farbe passt sehr gut zu ihren Haaren, und bei dem Schnitt können Sie es auch nachher noch tragen.“
Alex nickte, ja, die Bluse konnte sie auch im Herbst noch tragen, der Schnitt war fast zeitlos und die Farben passten auch zur kühleren Jahreszeit. Doch der Blick der Verkäuferin irritierte sie schon. Dennoch, die Bluse gefiel ihr gut.
„Ich habe da auch noch etwas, was Ihnen bestimmt gut stehen wird, und das ist dann verstellbar. Wenn Sie es probieren, können wir gleich sehen, ob es langfristig passen wird.“ Die Dame hielt ihr eine schlichte und sehr schön geschnittene Wickelbluse hin, an deren Ausschnitt zusätzliche Schlaufen waren, um auf unterschiedliche Fülle der Trägerin Rücksicht zu nehmen.
Und da Alex an weißen Blusen praktisch immer Gefallen fand, ging sie bereitwillig in die Kabine zurück und versuchte sich an dem Wickelteil. Kaum hatte sie den schützenden Vorhang vorgezogen, hörte sie im Hintergrund Getuschel der beiden Verkäuferinnen, von denen die zweite nun arbeitslos war, da die dickliche Dame das Geschäft unter Mitnahme des bläulichen Modeundings verlassen hatte.
„Man darf auch nicht vergessen, dass der Bauch in der Schwangerschaft dann ziemlich oben sitzt!“ Alex hielt den Atem an, ganz sicher meinten sie die eben gegangene Kundin, doch ein prüfender Blick auf das Etikett der Bluse wies deutlich aus: „Glücklich durch die Schwangerschaft, ungezwungen gut angezogen.“ Fassungslos setzte sie sich auf den Schemel. Sah man es schon? Dabei hatte sie noch nicht einmal einen positiven Test in der Hand! Sie schaute an sich herunter und musste erneut zugeben, dass ihre Figur sich schwangerschaftsmäßig wölbte. „Vermutlich denken die, ich sei schon im 4. Monat!“ dachte sie entsetzt, doch dann brach ihr Sinn für Komik wieder durch. Okay, wenn schon, denn schon.
„Haben Sie auch eine passende Hose dazu, Sie wissen schon…“ Alex bedachte die Verkäuferin mit einem wissenden Blick.
„Oh, tut mir leid, die führen wir normalerweise nicht, aber wir können Ihnen gerne eine bestellen. Mit Bindelösung oder Verstellteinschub? Die trägt meine Schweigertochter derzeit auch, sie ist im Mai so weit, und die Hosen sitzen noch prima.“
“Danke, das ist nett, aber ich möchte sie wenn dann gleich mitnehmen. So viel passt mir ja bald nicht mehr…“ setzte Alex drauf, ganz siegersicher, als sie ein fröhlich geschmettertes „Hallo Alex!“ hörte, das klang, als hätte ein Vögelchen gezwitschert.

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Alex 43

Während Alex sich recht elegant in eine Sackgasse manövriert hatte, saß
Matthias erschöpft am Schreibtisch. Dieser Morgen lag ihm wie das Rührei im
Magen, und dazu noch das Gespräch vom Vortag, das er kaum verdaut hatte.
Nicht einmal der morgendliche Kaffee, den ihm seine Assistentin
gewohnheitsmäßig auf den Tisch gestellt hatte, schmeckte ihm. Vor sich hin
sinnierend schaute er auf seine Hände. Was hatte Alex gesagt? Meinte sie
etwa wirklich, er sei an der Kinderlosigkeit schuld?

"Quatsch, das kann ja gar nicht sein," wehrte er innerlich ab. Dennoch
begann diese Unterstellung hinterhältig an seinem männlichen Ego zu kratzen.
Allein die Tatsache, dass ER an der Kinderlosigkeit in irgendeiner Form
beteiligt sein sollte, irritierte ihn. Er war doch immer parat, wenn diese
Tage bei Alex herannahten. Und Spaß hatten sie beide ja auch daran gehabt.

Matthias schüttelte den Kopf. "Und hatte sie nicht immer lachend gesagt, er
könnte problemlos ein Schnapsglas füllen. Na eben." Damit schloss er ganz
männlich überzeugt das Thema für sich ab. Dachte er zumindest.

Mittags traf er zufällig Ralph in der Herrentoilette.
"Mahlzeit", grüßte er ihn.
"Mahlzeit", schallte es fröhlich zurück und Seite an Seite versuchten sie
syncron die emaillierte Fliege im Becken zu treffen, die schlaue Menschen
dort eingebaut hatten, um weiträumige Spritzer zu vermeiden. Der
Jagdinstinkt des Mannes funktionierte eben bis ins letzte Glied.

Wie immer wurde dabei ein prüfender Blick auf das edelste Teil des Kollegen
geworfen, und diesmal mußte sich Matthias neidvoll eingestehen -
seltsamerweise war ihm dies zuvor gar nicht aufgefallen - dass Ralph über
mehr Männlichkeit über dem Becken verfügte als er. Und Ralph hatte Max und
Meike...

Ja, Max, der süße Knirps, irgendwann wollte Matthias auch einen Max.

"Na Ralph, alles klar?" begann Matthias sein Gespräch.
"Klar", entgegnete sein Kollege zuversichtlich. Eine innere Ruhe ging
beneidenswerterweise von ihm aus.
"Mann, schon fast Mitte der Woche", fuhr Matthias fort und schüttelte ein
paar Tropfen ab.
"Ja, irre wie die Zeit vergeht, was? Und weißt du was? Es ist doof und ich
habe das als Kind immer gehaßt, wenn meine Tante sagte "Ach, bist du aber
wieder groß geworden!", aber mir geht es jetzt auch so, an den Kindern sehe
ich, wie die Zeit vergeht. Man kann auch sagen: Wie ich älter werde." Ralph
lachte amüsiert, als hätte er einen tiefgründigen Witz gemacht, aber
Matthias blieb das Lachen ein wenig im Halse stecken. "Wie ich älter werde",
hallte ihm in Kopf. Er war doch noch super zupasse, oder? Naja, ein wenig
Fitness wäre gut, aber eigentlich hatte er das doch gar nicht nötig. Was
hatte Alex da gesagt? Sowas von wegen sie wird nicht jünger, aber wenn es
nicht klappte, wäre das ja nicht so schlimm.

"Ja, eure beiden, die sind wirklich niedlich." Dabei bewegten sie sich unter
Umgehung des Waschbeckens zur Tür.
"Wollen wir zusammen Mittag machen?"
"Gerne, ich hole nur eben schnell mein Geld", sagte Ralph erfreut und
verschwand noch leicht an der Hose zuppelnd in seinem Büro. Matthias mußte
ebenso noch Geld holen und rief nur kurz "ich hole dich gleich ab", und
verschwand seinerseits im Büro. Keine drei Minuten später stand Matthias vor
Ralphs Bürotür und stieß diese schwungvoll auf.
"Na, fertig?"
"Na klar, ich bin es gewohnt, alles schnell zu erledigen." Ralph lachte und
wieder einmal beneidete Matthias ihn um seine Gelassenheit.
"Na, denn komm. Ins Bistro? Kleinen Snack?"
Und so zogen beide los.

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Kami
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Teil 44
Geistesgegenwärtig brachte Alex heraus : „Oh, hallo Ilse“ und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange „schön, dich zu treffen.“ Und zur Verkäuferin gewandt „Danke, ich hol’s mir dann ab, wenn’s dann mal so weit ist…“ und schaute ihr mit einem beschwörenden Blick auf ihre Schwiegermutter direkt in die Augen. In diesem Augenblick beglückwünschte sich Alex, in diesen Laden gegangen zu sein, denn hier stand geschultes Personal. Ohne mit der Wimper zu zucken verstand die Verkäuferin – zwar falsch, aber mit dem richtigen Ergebnis – und entgegnete: „na ja, man kann ja nie wissen…“ nahm die weiße Bluse zurück und fragte: „Soll’s die bunte sein?“
„Ich komm noch mal zurück“, entgegnete Alex und wandte sich Ilse zu, die zum Glück nichts von der Misere mitbekommen hatte. „Und wir gehen jetzt einen schönen Milchkaffee trinken, oder?“ Mit diesen Worten zog sie die willige Schweigermutter aus der Gefahrenzone.
„Man kann ja nie wissen“, hallte es ihr noch im Ohr, so dass sie den Erzählungen von Ilse, die gerade an einer entzückenden Handtasche für sündhaftteures Geld verzweifelte, nur mit halbem Ohr lauschte. Immerhin war das gemeinsame Kaffeetrinken außerordentlich kurzweilig, denn sie waren im Stammcafe von Ilse gelandet, die nun von allen Seiten gegrüßt und mit Gesprächen belegt wurde. In kurzer Zeit wusste Alex über alles Unwichtige und manches Wichtige in ihrer Stadt Bescheid, eine neue und durchaus angenehme Erfahrung.
„Und was machst du um diese Zeit in der Stadt“, drehte sich Ilse nun endgültig zu ihr um.
„Ich habe Urlaub, ganz spontan.“
„Das ist gut, Alex, immer nur arbeiten ist auch gar nicht gesund. Ich finde ja auch, dass Matthias zuviel arbeitet. Immer dieses Wegbleiben bis nach acht, das ist doch nicht normal. Gut, dass du dir sicher sein kannst, dass da keine andere ist, sonst müsste man sich glatt Gedanken machen.“
Ups, daran hatte Alex noch gar nicht gedacht. Was denn, wenn Matthias kein Kind von ihr wollte, weil er mit einer anderen ein Doppelleben führte. „Ach, Unsinn, ist ja völlige Quatsch“, schalt sie sich, doch der kleine Stachel saß.
„Also der Mann einer Arbeitskollegin von mir, der hat ja auch immer gesagt, er müsse lange arbeiten. Und weißt du was? Irgendwann wollte sie ihm mal sein Handy bringen, das er vergessen hatte, und er war nicht im Büro. Er hatte frei genommen. So war das. Tja, ist jetzt auch schon etliche Jahre her, das war noch so ein großes Handy mit herausziehbarer Antenne. Aber geschieden sind die nicht, nur leben sie nebeneinander her. Traurige Geschichte. Ich glaube, die haben aber auch keine Kinder…“ Ilse versuchte, sich genau zu erinnern, aber so ganz gelang das nicht.
„Ach, und etwas wollte ich dich schon lange mal fragen: Ich habe doch noch die alten Bilderalben der Kinder, wollt Ihr die nicht haben, zumindest die von Matthias. Ich habe sie letztens von Boden geholt und schön sauber gemacht, sie waren ja ganz eingestaubt, aber eigentlich gehören sie ja zu den Kindern, nicht zu uns. Und wenn ihr mal Kinder habt, dann könnt ihr ihnen zeigen, wie der Papa mal ausgesehen hat. Ich habe natürlich ein wenig darin gestöbert, war schon putzig, der Kleine, da waren aber auch lustige Photos drin. Wie er mit dem Tuch um den Kopf in seinem Zimmer spielte, als er Mumps hatte. Wie ein süßer Engel, dabei ging es ihm gar nicht gut damals…“
Den Rest der Erzählung bekam Alex nur annäherungsweise mit. „Mumps! Das kann doch nicht wahr sein!“ dachte sie und ließ ihre Gedanken kreisen.

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Kami
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Alex 45
„Ich nehme ein Hefeweizen.“
„Ich auch, gute Idee.“ Beide Herren saßen gemütlich im Bistro studierten die Karte.
„Eigentlich würde mir ja ein halbes Schwein auf Toast gut tun“, sinnierte Ralph. „Heute Morgen war es so hektisch, Max wollte nicht in den Kindergarten, weil eine der Betreuerinnen ihn gestern ausgeschimpft hat, weil er einem Kind das Spielauto weggenommen habe. Naja, ich kann das verstehen, es muss wohl ein Sportwagen gewesen sein“, schmunzelte Ralph.
„Bei mir war es ganz das Gegenteil, Alex bleibt für’s erste zuhause und hatte alle Zeit der Welt.“
„Hey, super, kommt Nachwuchs?“
Matthias wurde heiß am Kragen. „Nein, wirklich nicht. Sie will sich Zeit für sich selbst und für mich nehmen.“
„Du Glücklicher, wenn Katja so richtig Zeit für mich hätte, oh Mann, dann hätten wir bestimmt schon vier oder fünf Kinder.“
„Naja, Alex will kochen und so komische Kurse an der VHS machen…“ Matthias ließ den Rest seiner Gedanken offen.
„Also weißt du, du bist echt ein Glückspilz. Deine Frau hat Zeit für dich, da könnte ich echt ins Schwärmen kommen. Gemütliche Abende am Ofen – habt Ihr einen? – Kerzenlicht, leckeres Essen, alles fertig, wenn du von der Arbeit kommst, und das Beste: Wenn sie Kinder haben will, und es klappt nicht, dann ist dir ein erfülltes Leben zuhause – du weißt schon…“ ganz verstohlen machte Ralph eine eindeutige Handbewegung und ein schwärmerisches Gesicht, „…für die nächsten Monate sicher. Nichts ist toller als eine Frau, die Kinder haben will, bei der es aber nicht sofort klappt. Also wenn du mich fragst, ich hätte mir das gewünscht.“
Ralph seufzte etwas gottergeben. „Leider hat es bei uns mit Max schon in den Flitterwochen geklappt. Ehrlich, der Traum schlechthin, nur nicht für mich, denn dann war erst mal Sense. Und bei Meike haben wir auch nur zwei Monate geübt.“ Sein Gesicht hellte sich auf. „Dabei hatte ich mich schon gefreut, als Katja sagte, sie wolle noch ein Kind. Kann ja kein Mensch ahnen, dass das so schnell geht…“ Ralph hing ebenso wie Matthais seinen Gedanken nach.
„Haben Sie schon gewählt?“ fragte in diesem Augenblick die Bedienung. Sie trug eine weiße Bluse, die leicht durchscheinend war, und dazu einen kurzen schwarzen Rock.
„Ein Salami-Baguette und ein Hefeweizen.“
„Für mich ein Käse-Baguette und auch ein Hefeweizen.“
„Gerne.“ Die Bedienung warf den beiden einen schmachtenden Blick zu. Beide Herren guckten ihr bedeutungsvoll hinterher, als sie zur Theke zurückging.
„Sahneschnittchen, was?“ grinste Ralph.
„Hehem…aber unsere Frauen sind ja auch nicht zu verachten“, holte Matthias beide aus den Wolken. Im gingen noch Ralphs Worte durch den Kopf.
„Hast ja Recht. Und, wollt Ihr Kinder?“
„Ja, so in zwei, drei Jahren, denke ich.“
„Und bis dahin? Ich meine, worauf wartet Ihr?“
Diese Frage brachte Matthias aus dem Konzept, er empfand sie fast als indiskret. Vielleicht lag es aber auch daran, dass selbst ihm seine Antworten nicht stichhaltig erschienen.
„Naja, Alex hat jetzt Zeit, und dann wollen wir erst mal die Zweisamkeit genießen.“
„Aber Ihr seid doch beide Ende 30, oder? Also ich habe es nicht bereut, schon Kinder zu haben; und Gründe, warum es gerade nicht passt, gibt es ja viele. Ich selbst hatte nur Angst, dass es aus irgendwelchen Gründen nicht klappen würde. Ich weiß, das hört sich jetzt blöd an, aber es gibt so viele Paare, bei denen es nicht so einfach klappt wie bei uns, glaub mir. Bei meinem Bruder und meiner Schwägerin zum Beispiel, die hätten unglaublich gerne ein Kind, aber es klappt irgendwie nicht. Und ich hatte irgendwie Angst, dass mir das auch passieren könnte, weil ich es da gesehen habe. Natürlich habe ich mir auch immer gesagt, dass bei mir alles in Ordnung ist, aber – wie gesagt – man weiß ja nie.“
Inzwischen hatte das leckere Sahneschnittchen ebenso leckere Baguettes gebracht und ein perlendes Weizen für jeden. Und beide stießen ordnungsgemäß mit dem dicken Ende der Weizenbiergläser an: „Auf alle Sahneschnittchen!“ lachte Ralph.
„Übrigens, mein Bruder hat dann gar kein Bier mehr getrunken, weil Alkohol die Du-weißt-schon-Qualität verschlechtern soll. Furchtbar, was? Was dem entging…“ Ralph ließ sich das Bier auf der Zunge zergehen und genoss den Schluck in der Kehle.
„Ha, ein Genuss, was?“ Nur irgendwie schmeckte das Bier Matthias gar nicht mehr…dafür biss er beherzt in das Baguette.
„Und Umweltgifte sollen ja auch zur Kinderlosigkeit beitragen, sagt er immer.“
Matthias blickte zweifelnd auf das Salatblatt und die Gurke auf dem Baguette.
„Na nun hör aber mal auf, du kannst einem ja das Essen ganz vermiesen.“
Ralph lachte: „Quatsch, das ist nur, was mein Bruder immer sagte. Ich fand das auch immer doof, und geschadet hat es mir ja offensichtlich nicht. Außerdem kann man ja wohl nicht sein ganzes Leben umkrempeln, wenn es nicht sofort klappt, oder?“ Und mit diesen Worten prostete er seinem Freund augenzwinkernd zu, den Rest seines Salatblattes im Mundwinkel.

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Kami
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Alex 46
Obwohl Alex brennend gerne bei Ilse nachgebohrt hätte, in welchem Alter Matthais denn Mumps gehabt hatte, fühlte sie sich doch mit ihm insofern solidarisch, als sie immer abgemacht hatten, dass niemand von ihrem Kinderwunsch wissen sollte. Zumindest niemand in der Familie, Hanna als ehemals oder wieder beste Freundin war da etwas anderes. Absprache war, Stillschwiegen zu bewahren, allerdings mit der Ausnahme, dass jeder von beiden bei Bedarf einen Freund bzw. eine Freundin einweihen dürfe. Sie wusste daher auch nicht, ob Matthias vielleicht Jürgen eingeweiht hatte, so wie sie ihren Mann aber kannte, war das eher unwahrscheinlich. Er war typisch männlich verschwiegen, zumindest in diesen Dingen.
Ein gezieltes Nachfragen bei Ilse verbot sich daher, denn Ilse hatte sehr häufig und genau bei solchen Dingen einen guten Riecher für den wahren Grund einer Frage.
„Wir hätten die Alben wirklich gerne, ich würde auch zu Matthias Geburtstag eventuell darauf etwas scannen. Weißt du was? Ich komme gleich mit und nehme sie mit nach hause. Dann bist du sei los, ich weiß ja, dass du es nicht magst, wenn bei dir solche Sachen herumliegen.“
Ilse schaute sie dankbar an. Sie mochte ihre Schwiegertochter sehr gerne, und sie schätzte ihr Einfühlungsvermögen.
„Na, dann lass uns mal von dannen ziehen“, sagte sie fröhlich und bedeutete der Bedienung, dass sie zahlen wollte.
Kurz darauf marschierten beide wohlgemut und innig untergeärmelt durch die Stadt, schauten sich Schaufenster an und blieben hier und dort stehen.
„Guck mal, ist das nicht süß? Das wäre doch etwas für Henriette, unsere süße Maus?“ Verliebt lächelnd blickte die Großmutter eine Auslage an, in der eine Schaufensterpuppe in Henriettes Alter ein niedliches rosa Sweatshirt mit passend abgesetzter blauer Hose zeigte. Auch Alex schaute mit verliebtem Lächeln die Puppe an. „So eine Süße hätte ich auch gerne, und vielleicht…“ dachte sie und sagte: „Komm, wir gehen rein und holen es. Sie sieht bestimmt süß darin aus.“ Und im Kopf hatte sie, dass ihre eigene Tochter in etwas mehr als drei Jahren diese Kleidung übernehmen würde, und sie sah sie direkt darin.
Nachdem Alex die Alben abgeholt und für das Abendessen eingekauft hatte, kam sie fast atemlos zuhause an. Sie musste jetzt endlich wissen, wie alt Matthias war, als er Mumps hatte! Allerdings orderte Phoebe erst ihr Recht und ihr Futter, und die Tiefkühlware musste erst verstaut werden. Ungeduldig wieselte Alex durch die Küche und erledigte angespannt alles Notwendige. Dann setzte sie sich an den Tisch und forstete die Alben durch, wobei ihr Blick nur auf eines gerichtet war: Ein Kind mit Tuch um den Kopf.
Im zweiten Album wurde sie fündig: Matthias im Wohnzimmer, ein Tannenbaum im Hintergrund, und er mit Tuch um den Kopf. Aus der Unterschrift war zu erkennen, das er acht Jahre war.
„Okay, Mumps mit acht, laß mal sehen…“ mit fahrigen Bewegungen machte Alex den PC an und gab die Suchfunktion ein: „Mumps“.
Da stand es…Mumps kann zur Hodenentzündung und somit zur Sterilität führen, allerdings vorwiegend bei Patienten, die im Männeralter daran erkranken.
Alex war erleichtert. Natürlich machte sie sich Gedanken darüber, ob es an ihr lag, dass sie nicht schwanger war, oder ob bei Matthias irgendetwas nicht stimmte. Dieses Thema hatte sie ja in den letzten Wochen ab und zu vorsichtig angesprochen, aber keine Resonanz erhalten. Und sie ärgerte sich immer darüber, dass Matthias diesen Punkt immer abtat. Sie selbst zermarterte sich das Hirn, woran es liegen kann, schluckte Tropfen, Pillen oder Globuli, verformte ihr ganzes Leben, um ja nichts falsch zu machen, und er nahm das nicht mal wahr.
„Aber egal, er wird es schon merken“, dachte sie grimmig und suchte noch ein paar weitere Themen im Internet. Und eines davon war „scharfe Gerichte für scharfe Männer“.

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Kami
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Alex 47
Während Alex nun wohlgemut das Abendessen zusammenstellte, wobei sie ja auf die bereits eingekauften Lebensmittel in gewissem Sinne beschränkt war (allerdings war das nur eine geringe Einschränkung, denn sie hatte den Kühlschrank in der Tat mit vielen gesunden Leckerbissen gefüllt), saß Matthias ebenfalls am Computer, nur dass sein Suchwort „Spermienqualität“ lautete. Und irgendwie machte ihn das, was er dort las, nicht froher als die warnenden Worte von Ralphs Zitaten seines Bruders.
Nun hatte Matthias zwar nie geraucht, aber das eine oder andere Glas hatte er sich im Laufe der Jahre schon genehmigt. Doch er verwarf diesen Gesichtspunkt sofort wieder, er trank weder regelmäßig noch viel. Mehr Kopfzerbrechen machten ihm Stichworte wie „Umweltgifte“, „Abgase“ und Krampfadern an den Hoden.
„Wie zum Teufel merkt man das denn?“ fragte er sich beunruhigt und begab sich ungehend auf Toilette, um dort zu sehen, ob es etwas zu sehen gab. Fehlanzeige, der Blickwinkel war aber auch unglaublich ungünstig. Zum ersten Mal wusste er Taschenspiegel zu schätzen, die Frauen so gerne in der Handtasche mit sich herum trugen.
„Das muss doch gehen!“ Matthias versuchte, durch Verdrehen und Verrenken etwas zu sehen, doch die Untersuchung scheiterte naturgemäß. Er wog rechts und links seine Männlichkeit in der Hand und versuchte nun, eine Änderung der Temperatur festzustellen, doch auch dies gelang ihm nicht. Ihm wurde warm „Oh Gott, Wärme ist ganz schlecht“, versuchte er sich zu beruhigen und packte sich wieder ein.
Inzwischen war er auch nicht mehr allein auf der Herrentoilette, und als er leicht verschwitzt aus der Kabine trat, grinste ihn ein Kollege aus einer anderen Abteilung an und sagte: “Na, schwere Sitzung gehabt?“
„Wie’s denn dann so kommt…“ Matthias ließ sich nichts anmerken.
Zurück im Büro öffnete er die Datei erneut. Was hatte er da gelesen? Er wiederholte den Text: „…führt fast regelmäßig zu einer Störung der Spermienproduktion, denn zum ungehinderten Ablauf der Hodenfunktion ist eine Temperatur nötig (idealerweise ca. 32°C), die sich unterhalb der inneren Körpertemperatur befindet und nur im Hodensack erreicht wird….Eine ähnliche Problematik kann durch eine Krampfader am Hoden hervorgerufen werden. Man nimmt an, dass diese verdickte Ader die Temperatur des Hodens ebenfalls erhöht und die Spermienproduktion negativ beeinflussen kann. Zur Beseitigung einer solchen Krampfader gibt es verschiedene operative Techniken. Manche Urologen spritzen ein Medikament in die Ader, welches zu einem Verschluss führen soll.“ Matthias verzog das Gesicht vor imaginärem Schmerz. Spritzen in dieses edle Teil?
In Themen wie Immunologie oder genetisch bedingte Einschränkung der Spermienqualität mochte er sich schon gar nicht einlesen, das hörte sich ja noch furchtbarer an. Doch ein paar Tipps merkte er sich schon: Also übermäßig Sport treiben solle er nicht, weil man dabei leicht überhitzt, und das wäre schon wieder schlecht für die Schwimmer. „Naja, so ein bisschen geht ja trotzdem noch“, sagte sich Matthias und schaute weiter. „Vitamin C und D Kalzium und Zink….hmmm… Zink, wo kriege ich das denn her?„ Er machte sich einen Zettel, dass er sich ein Vitaminpräparat mit Mineralien und Spurenelementen in der Apotheke besorgen wolle. Und was stand da (Matthias begann laut zu lesen): „Halten Sie die Hoden kühl. Achten Sie darauf, weite Unterhosen und Hosen zu tragen, damit die Hoden in ihrer natürlichen Entfernung vom Körper kühl bleiben können. In enge Unterhosen und Hosen gequetscht, erwärmen sie sich auf Körperkerntemperatur und reagieren mit einer verminderten Spermienproduktion. – ach du Schreck, also wieder Boxershorts, na Prost Mahlzeit, wo ich die so hasse…“ Matthias sprach nun ganz losgelöst mit sich selbst. Also selbst wenn, was ja gar nicht sein konnte, seine Spermienqualität eingeschränkt sein sollte, konnte er doch eine Menge tun. „Und schaden kann es nicht,“ sagte er gerade, als seine Assistentin die Tür öffnete und ihn irritiert fragte, er ob sie gerufen habe.
Mit etwas Bedauern musste er die beiden letzten Hinweise aufnehmen: Keine heißen Bäder mehr, wenig Sauna und nur alle 4-5 Tage Sex. „Na toll, dann liegen wir beiden ja voll im Trend“, sprach er mit Blick zwischen seine Beine, zwinkerte seinem Gesprächspartner zu und fuhr fort: „Aber das kriegen wir schon in den Griff, was?“

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Alex 48
Matthias kam den ganzen Nachmittag praktisch nicht zum Arbeiten, weil er intensiv mit der Suche nach Informationen über Spermienqualitäten, Vitamine, Spurenelemente und Verhalten bei Kinderwunsch beschäftigt war. Und je mehr er las, desto unsicherer wurde er.
Um 16.00 Uhr klingelte das Telefon, das Display zeigte, dass Alex am Apparat war.
„Hallo Matthias, wann soll ich dich abholen? Ich warte auf dich.“
Matthias war perplex, das hatte er noch nicht erlebt. Bisher war es so gewesen, dass Alex seine Arbeitszeit immer gut genutzt hatte – oder sogar selbst noch arbeitete um diese Zeit; das war ja auch ganz normal. Aber gut, heute hatte er sowieso keine Lust mehr zum Arbeiten.
„Kannst du in einer Stunde da sein? Ich warte dann unten auf dich. Lieb, dass du mich abholst.“
„Ist doch klar, das mache ich doch gerne für dich. Ich habe jetzt ja auch richtig Zeit für dich. Schön, oder?“
„Super, Schatz.“ Letzteres klang nicht so recht überzeugend, deshalb setzte er hinzu: “Ich freue mich riesig auf heute Abend.“ Wobei er dachte „Uff, gerade noch die Kurve gekratzt.“
Bereits ein halbe Stunde später stand Alex in seiner Bürotür, perfekt gekleidet in ihren schmal geschnittenen schwarzen Mantel mit dem Webpelzkragen, ihren dazu passenden Hut tief ins Gesicht gezogen und offensichtlich in Rock oder Kleid, denn an den Füßen trug sie Lederstiefel. So zog sie sich normalerweise nur sonntags an, wenn die beiden bummeln gehen wollten. Matthias war so verwundert und angenehm überrascht, dass er fast vergaß, rechtzeitig die Dateien der Kinderwunschseiten zu schließen.
„Hallo mein Schatz, ich dachte, ich komme ein wenig früher, du freust dich doch bestimmt, mich jetzt schon zu sehen. Und zuhause wartet schon das Essen auf uns, ich muss nur noch ein paar winzige Dinge hinzufügen.“ Woran Alex dabei dachte, eröffnete sie ihm lieber nicht. „Wir machen uns jetzt jeden Tag eine schönen Abend, oder?“ Alex strahlte ihren Mann hingebungsvoll an.
„Tolle Idee…ich muss nur noch…“
„Ich kann warten…“ mit diesen Worten setzte sie sich auf den Besucherstuhl im Büro und schaute ihn erwartungsvoll an. Dass er so nicht weiterarbeiten konnte, war ihr wohl klar, und genau das bezweckte sie ja auch.
„Hattest du einen schönen Tag?“
Matthias blicke von seinen Unterlagen auf, in die er sich gerade erfolglos zur Beruhigung vertiefen wollte.
„Äh…ja.“ Er wurde ein wenig rot, weil er sich an den Mumpsprüfstand in der Herrentoilette erinnerte. So ganz wohl fühlte er sich nicht in seiner Haut, ihm wurde warm, was nun gar nicht sein durfte, und anders als früher hatte er auch das Gefühl, dass seine Hose nicht perfekt saß und im Schritt etwas kniff. Das beunruhigte ihn, und diese Unruhe brachte seinen Wärmehaushalt wiederum weiter in Schwung.
„Komm, wir fahren nach hause, ich habe hier keine Ruhe mehr…“ mit diesen Worten ordnete er halbherzig seine Unterlagen und stand auf.
„Warm hier drinnen, findest du nicht?“ fragte Alex mit Blick auf den Heizkörper.
„Wirklich? Ich dachte, es läge an mir, ich drehe die Heizung weiter runter, bei der Arbeit soll man ja eine kühlen Kopf bewahren.“ Dass er ein anderes Körperteil meinte, lag auf der Hand.
Zuhause wartete eine ebenso warme, dazu aber köstlich duftende Wohnung auf beide.
„Ich habe es schön muschelig gemacht, damit es gemütlich ist...“, erklärte Alex und verzog sich in die Küche. Matthias dagegen ging ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen.
„Diese Hose kneift aber auch wirklich an der falschen Stelle. Das kann ja nicht gesund sein,“ dachte er bei sich und suchte im Schrank nach etwas Bequemen.
„Alex? Hast du meine Bundfaltenhose gesehen? Die graue aus Wollstoff?“
„Die ist im Altkleidersack, wieso fragst du? Du wolltest sie nicht mehr anziehen, weil sie dir zu pluderig war.“ Das war die Antwort, die aus der Küche kam. Matthias setzte sich entnervt auf sein Bett. Auch seine Suche nach den Boxershorts war erfolglos geblieben und tief im Innern meinte er sich zu erinnern, dass auch die Unterwäsche den Weg in östliche Länder angetreten hatte. „Vermutlich ist dort die Geburtenrate jetzt stabil“, dachte er grimmig. Also suchte er aus dem Schrank eine alte ausgeleierte Unterhose, die er schnell anzog, bevor er von Alex dabei erwischt wurde. Er hoffte nur, sie würde das Exemplar nach der Wäsche nicht kurzfristig zum Putzlappen umfunktionieren. Und wenn es heute Abend zu intimen Äußersten kommen sollte, musste er die Hose auch schnell verschwinden lassen. Unförmige Hosen hatten Alex schon immer zum Lachen gereizt und waren daher nicht gerade libidofördernd.
Kurze Zeit später erschien Matthias in einer alten, etwas ausgeleierten Hose, die er getragen hatte, als er ein paar Kilo mehr an Gewicht hatte und die er nun mit Hilfe des Gürtels am Körper halten musste. Selbst er musste zugeben, dass ihn das nicht begehrenswerter machte.
Alex schaute kurz auf und lachte ihn an. „Na, du hast es dir ja schon schön bequem gemacht, setz’ dich doch, das Essen ist gleich fertig.“ Sie selbst hatte ein knackig sitzendes dunkelrotes Kleid an und sah nach Matthias Meinung zum Anbeissen aus. Und genau das hatte Alex ja auch beabsichtigt, denn nichts ist für einen Mann schwerer zu ertragen als eine perfekte Frau zuhause.

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Alex 49
Die Zeit, die Alex zur Vorbereitung des Abendessens am Computer verbracht hatte, hatte unglaubliche Erkenntnisse zutage gefördert. Ziel des Essens sollte es ja sein, Matthias die Vorzüge seiner Frau einmal mehr vor Augen zu führen. Denn sie hatte schon seit längerem das Gefühl, dass ihr Mann sie eigentlich nicht mehr so recht zu schätzen wusste.
Natürlich kannte sie die Antwort aller Eheerfahrenen dazu: „Das ist eben so mit der Zeit.“ Doch Alex konnte das nicht einfach so akzeptieren, denn sie hatte, auch wenn es ihr manchmal schwer fiel, immerhin geschworen, zu Matthias zu halten. Und im Grunde liebte sie ihn ja auch sehr, wenn er eben doch nur an einem Strang mit ihr ziehen würde. Und das hieß, keine einsamen Entscheidungen zu treffen und eine gemeinsame Zukunftsperspektive zu entwickeln. Deshalb hatte sie ihren Stufenplan entwickelt, den sie nun mit der ihr eigenen Konsequenz durchzuführen gedachte. Zunächst wollte sie Matthias klar machen, dass eine gute Ehe auch darauf basiert, dass beide Partner gleichberechtigt sind. Und da sie davon überzeugt war, dass das nicht durch harte Worte geschehen würde, musste sie den Weg wählen, scheinbar nicht mehr gleichberechtigt zu sein. Den ersten Schritt dazu hatte sie getan, eigentlich tat sie jetzt immer genau das Gegenteil von dem, was sie erreichen wollte. Die scheinbare Aufgabe des Berufes, die Hingebung zu ihrem Mann und die Verweigerung des Kinderwunsches, das waren zunächst ihre Mittel. Und bisher hatte alles nach Plan geklappt, Matthias war verunsichert, das merkte sie.
Natürlich gab es da auch ein „Aber“, und das lag darin, dass Matthias eventuell darauf eingehen würde, dass sie so war, wie sie sich jetzt gab – was sie aber nicht glaubte – oder dass er sein Inneres nun anders kanalisierte, zum Beispiel Trost bei einer anderen Frau oder zum Beispiel wie viele Männer am PC suchen würde. Spätestens dann würde sie umgehend wieder normal sein, und sie war auf der Hut. Dass es ein gefährliches Spiel war, wußte sie.
Und genau aus diesem Grunde hatte sie sich entschlossen, ein nicht ganz legales Mittel zur Verbesserung ihrer Beziehung zu ergreifen: Hexenkunst.
Als ihr Mann im ungewohnt unordentlichen Outfit zu Tisch kam, war sie recht beunruhigt, denn er legte immer viel Wert auf sein Äußeres. Auch wenn ihr nun seine Blicke folgten und immer wieder auf ihrer Figur ruhten, beschlich sie das Gefühl, dass sie unbedingt verhindern müsse, dass eine andere Frau die Lage ausnutzen würde.
Und so setzte sie das Mittel ein: In der Küche hatte sie den eigentlich nicht so recht zum leichten Essen passenden dunklen Rotwein in die großen Kelche geschenkt, eine Messerspitze feinen Staub vom Feilen ihrer Nägel hinzugefügt und mit geschlossenen Augen – wie sie es gelesen hatte – rezitiert:
"Kochen sollst du vor Leidenschaft,
Venus leite mich heut Nacht.
In meinen Armen liegt dein Glück,
heute führt kein Weg zurück!"
Und nun musste sie darauf achten, dass er das Glas bis zum Grund ausleerte, dann stand der Liebesnacht nichts mehr im Wege, zumindest soweit sie es zulassen würde. Eigentlich war ihr Plan, genau das nicht zuzulassen, doch sie vermutete selbstkritisch, dass das schwer werden würde.
Und so ging sie mit den beiden Gläsern, die sie tunlichst nicht verwechseln sollte, zu ihrem Mann, sah ihm liebevoll in die Augen und sagte: „Auf uns und unsere gemeinsame Zukunft!“ Matthias war erleichtert, er begann gerade, den Abend zu genießen: Er hatte seine objektiv betrachtet knackige Ehefrau in bester Laune vor sich stehen, einen guten Rotwein in der Hand und die Aussicht auf ein harmonisches Essen. Nur die Wärme störte ihn nach wie vor ein wenig, aber die Hose würde Kühlung bringen.
„Auf uns und unsere gemeinsame Zukunft“, entgegnete er, schaute Alex in die Augen und trank gleichzeitig mit ihr.
Und dann begann Alex, den ersten Gang aus der Küche zu holen. Liebe ging bei Matthias immer durch den Magen, und schon der Blick auf den Vorspeisenteller ließ sein Herz höher hüpfen: Avocado. Er hatte ja gerade heute gelesen, dass Avocado eine wahre Wunderfrucht war, die schon von den Azteken hoch geschätzt wurde: Sie enthielt ein Paket aus allen Vitaminen und Mineralien, die seine kleinen Schwimmer, die selbstverständlich auch ohne Mithilfe von Gemüse millionenfach mobil produziert wurden, noch mobiler machen würden. „Natürlich nur so zur Vorsicht, eigentlich brauche ich das ja nicht,“ sprach Matthias in Gedanken mit sich.
Alex hingegen hatte die Avocado deshalb ausgesucht, weil sie einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Leucin und Isoleucin enthalten, und die unterstützen die Produktion des Gute-Laune-Hormones Serotonin. Frisch aufgeschnitten, gepfeffert und gesalzen, mit einem kleinen Spritzer Zitronensaft, einem Löffel voll cremig gerührter Creme fraiche und zum Schluss (zumindest bei Matthias) etwas gestossenen roten Pfefferbeeren empfand sie sie als Genuss. Und am Gesicht ihres Mannes konnte sie sehen, dass auch er das Essen genoß.
„Hmmm…. Lecker, damit machst du mir aber eine Freude,“ sagte er anerkennend und dachte an die Vitamine.
„Man sagt, sie heben die Potenz“, sagte Alex lächelnd und beobachtete, wie Matthias noch dunkler im Gesicht wurde.
„Wäre ja nicht schlimm, oder?“ sagte er, bevor ihm auffiel, dass seine Hitzewallungen zunahmen. Dass das vielleicht an den Pfefferbeeren liegen konnte, denen aphrodisierende Wirkung zugeschrieben wird, davon wusste er glücklicherweise nichts, als er leicht beunruhigt mit den Worten „Entschuldige mich mal eben“, ins Bad ging. Und hier suchte er zunächst nach etwas Kühlenden für seine Männlichkeit.

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Alex 50
Während Matthias mit Hilfe eines Waschlappens und kalten Wassers seinem Problem näher rückte, werkelte Alex in der Küche. Sie hatte schon vorher eine leicht scharfe Garnelenpfanne mit Paprika, Safran, Knoblauch, Pfeffer und Petersilie so weit vorbereitet, dass nur noch ein wenig Arbeit notwendig war. Die Gewürze waren alle von der Art, dass sie beim Manne Begehrlichkeiten wecken sollten, die Meeresfrüchte würden durch ihren Eiweißgehalt Matthias bestimmt gut tun. Alex hatte sich in der Tat viel Mühe gegeben, Matthias aus der Reserve zu locken. Zum Nachtisch würde es dann die Vitaminbombe Ananas mit frischem Quark und in Minze zerstossenem Rohrzucker geben. Und dann würde sie ja sehen.
Matthias brauchte nicht lange im Bad und kam deutlich erfrischt zurück. Und auch der Rotwein zeigte seine Wirkung, ihr Mann ließ am Blick deutlich erkennen, dass er diesen Abend gerne verlängern wollte. Alex hingegen zeigte sich zwar nicht gerade abweisend, ließ aber alle Möglichkeiten offen. Sie unterhielten sich angeregt und fühlten sich beide sichtlich wohl, wobei sie bewusst heikle Themen wie Beruf, Kinder oder Zukunft ausklammerten. Zu tief saß bei Alex der Zorn, bei Matthias die Unsicherheit.
„Also, mir hat Kochen ja schon immer Spaß gemacht, aber so in Ruhe ist es doch etwas ganz anderes. Endlich kann ich mich ganz auf dich konzentrieren“, fing Alex wieder an. Matthias erhielt prompt eine weitere Hitzewelle.
„Morgen probiere ich was anderes aus, was hältst du von einem schicken italienischen Nudelgericht? So mit leichten Vorspeisen oder so? Oder lieber spanisch?“
„Ja, hört sich gut an“, antwortete ihr Mann ausweichend. Er hatte nur mit halbem Ohr zugehört.
„Spanisch hört sich feuriger an, findest du nicht?“ Alex strahlte ihr neues Lächeln.
„Oh Gott, nee, nicht feurig!“ brach es aus Matthias heraus, dem schon wieder ganz heiß war. „Ich muss nur mal“…verließ er fluchtartig das Zimmer in Richtung Bad. Erneut hörte Alex das Wasser rauschen.
„Was hat er bloß, so schlecht war das Essen doch auch nun wieder nicht. Also mir hat es geschmeckt“, dachte sie bei sich und räumte schon einmal den Tisch ab. „Geht’s dir nicht gut?“ rief sie hinter ihm her.
„Doch, alles okay“, schallte es voller Überzeugung zurück. Kurz darauf erschien Matthias wieder im Wohnzimmer, allerdings trug er jetzt eine Jogginghose.
„Willst du noch Sport machen? Das ist mit vollem Magen gar nicht gut“, witzelte Alex. Sie konnte nicht ahnen, dass Matthias den Waschlappen etwas unvorsichtig benutzt hatte, mit dem Erfolg, dass seine Hose deutlich Zeichen von Inkontinenz aufwies. Und so wollte er sich seiner Frau nicht präsentieren.
„Nein, ich habe auf die andere gekleckert, ich bringe sie morgen in die Reinigung.“
„Oh. Lass mal sehen, vielleicht können wir das auswaschen.“
Matthias schlug sich innerlich vor die Stirn. „Ich Idiot, das wäre die perfekte Lösung gewesen!“, stattdessen sagte er nur „Nein, laß nur, ich bringe sie weg, ich möchte jetzt hier mit dir gemütlich sitzen.“ Doch das sollte beiden nicht lange vergönnt sein.
Kurz darauf saßen die beiden auf dem Sofa und schauten sich die Bilderalben an. Verwundert stellte Matthias fest, dass ein recht frühes Bild von ihm im Krankenhaus aufgenommen worden war, er musste so ungefähr anderthalb bis zwei Jahre gewesen sein. „Komisch, das wusste ich gar nicht, man sieht auch gar nicht, warum ich da war…“ wunderte er sich laut. „Ich frage mal Mama, wenn ich sie sehe.“
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. „Ich gehe schon“, sagte Alex und stand auf. Und während Matthias auf die Idee kam, das Bild herauszunehmen, um die Beschriftung der Rückseite zu sehen, hörte er in der Diele Alex sagen: „Hi Bea, was ist denn…. Was hast du… bist du verrückt? Das glaub ich nicht. Ja, morgen um 10 Uhr. Ciao.“ Danach folgte eine lange Pause ohne Reaktion – und das spiegelte genau seinen eigenen Zustand wider, als er die Worte auf der Bilderrückseite las: „Matthias, 1970, Kreiskrankenhaus, nach OP HodHSt.“

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Alex 51
Mit ausdruckslosem Gesicht und hölzernen Bewegungen kam Alex zurück. Doch Matthias hatte in diesem Augenblick kein Auge für sie, er war ganz von Kinderbild in seiner Hand gefangen und versuchte, sich zu erinnern, ob seine Mutter jemals Näheres über diese Operation gesagt hatte und vor allem, wie alt er genau war. Denn aus der Recherche im Internet hatte er noch im Ohr, dass eine solche OP tunlichst früh und unbedingt vor dem zweiten Lebensjahr vorgenommen werden sollte, um langfristige Schäden zu vermeiden.
In den wenigen Monaten – Matthias hätte auf Anfrage auf etwa 6 Monate anstatt etwa 14 getippt und Alex dadurch sicher verletzt – hatte er sich nie ernsthaft mit dem Gedanken befasst, dass auch er verantwortlich für den Kinderwunsch sein könnte, und zwar im Positiven wie im Negativen. Für ihn war es eher ein Vergnügen ohne Anstrengung gewesen, und diese Gefühlsschwankungen von Alex hatte er eigentlich nie nachvollziehen können. Er hatte ja immer auf dem Standpunkt gestanden, dass es schon irgendwann klappen würde. Denn dass er generell Kinder haben wollte, das stand auch für ihn fest, besonders nach dem Intermezzo mit Max.
Die kleinen Spitzen von Seiten seiner Frau, auch er habe, da sie nun schon so lange warten mussten, etwas zu unternehmen, und zwar sich checken zu lassen, hatte er achselzuckend abgetan. Wieso denn auch, meinte sie etwa, es läge an ihm? Es war doch eher eine Frage der Zeit, und man durfte bloss nicht zu verkrampft an die Angelegenheit herangehen. Im Grunde hatte er gedacht, dass es an Alex lag, weil sie sich so auf diesen Kinderwunsch versteift hatte. Das hatte mit Schuld nichts zu tun, denn er hatte ja nie ernsthaft daran gezweifelt, dass sie bald schwanger werden würde. Und im Prinzip hatte er ja auch noch Zeit.
Nur war dieses Gedankengebäude heute mit Macht zusammengebrochen, plötzlich sah Matthias sich in einer ganz anderen Situation: War es vielleicht seine Schuld, dass Alex noch nicht schwanger war? Er konnte diesen Gedanken nun nicht mehr leichtfertig zur Seite schieben, denn es gab unübersehbare Zeichen dafür, dass er in einer ganz anderen Verantwortung stand als bisher gedacht. Und schließlich sollte es nicht seine Schuld sein, wenn seine Frau unglücklich war. „Schuld“, dieses Wort hallte in seinem Kopf nach. Und wie würde sie reagieren, wenn es tatsächlich an ihm lag? Würde sie sich vielleicht sogar von ihm trennen, weil er ihren Herzenswunsch nicht erfüllen konnte? „Quatsch, Alex doch nicht, in guten wie in schlechten Zeiten haben wir uns geschworen“, dachte Matthias mit deutlichem Gefühl des Unwohlseins.
Wie ein Häufchen Elend saß er neben Alex auf dem Sofa, das Bild in seinen schwitzigen Händen.
Alex ihrerseits hatte das Verhalten ihres Mannes nicht bemerkt, weil sie völlig in Gedanken bei den Informationen war, die Bea ihr gerade mitgeteilt hatte: Bea hatte diesen Monat, weil sie Peter unbedingt halten wollte, und weil sie ihm oder sich etwas beweisen wollte, Roulette gespielt und die Pille so ein-zweimal weggelassen. Nun war ihre Regel überfällig - und ein Schwangerschaftstest war positiv.
Alex kämpfte mit sich und mit den Tränen. Da ließ sie nur einmal so die Pille weg und wurde sofort schwanger, und sie selbst? Das war so ungerecht!
„Diese gemeine Ziege“, schrie es in ihr, „da weiß sie nicht mal, was sie will, und lässt sich ein Kind machen. Nur um mir zu zeigen, wie einfach das geht!“ Natürlich wusste sie, dass sie ungerecht war, aber das zählte derzeit nicht. Sie war tief getroffen, dass ausgerechnet Bea ihr ihr Unvermögen so deutlich zeigte.
Und sie hatte wenig Mitleid mit ihr, dass ihre Freundin nicht wusste, wie sie es Peter beibringen sollte, denn der hatte sich ja letzthin eindeutig dazu geäußert. Aber darüber würde sie morgen mit ihr sprechen, und sie hoffte nur, dass sie sich bis dahin einigermaßen beruhigt hatte.

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Alex 52
Etwas geistesabwesend legte Matthias aus alter Gewohnheit den Arm um seine Frau, vielleicht nur zunächst, um selbst ihre Wärme zu spüren, die er in diesem Augenblick doch nötig hatte. Doch anstatt ihn zu fragen, was denn los sein, warf sich Alex schluchzend in seine Arme und brachte unter Tränen hervor: „Bea, ist schwanger… das ist so gemein… die will doch eigentlich gar nicht ...Peter auch nicht, ..einmal Pille weg… und bei mir? Ich tue alles und dann das. Das hätte mein Baby sein sollen…“ Matthias hatte einige Mühe, ihrem von Aufheulen und Schluchzern immer wieder unterbrochenen Wortfluss zu folgen, doch zumindest erschlossen sich die grundsätzlichen Tatsachen.
„Och Schatz, nun beruhige dich erst einmal“, sagte er und streichelte ihr über die Haare. Normalerweise funktionierte das immer, aber er hatte den Ernst der Lage unterschätzt, denn keine Frau wird in der tiefsten inneren Not diese Worte gerne hören. Aus weiblicher Logik heraus sind sie einfach schlichtweg falsch und daher fehl am Platze. Entsprechend heftig reagierte Alex. Sie heulte erneut vehement auf und versuchte sich aufzusetzen.
„Du verstehst das nicht“, warf sie ihm empört an den Kopf. In der Tat konnte Matthias nicht im Mindesten erahnen, wie tief diese Nachricht Alex getroffen hatte, denn alle Wunden des Kinderwunsches waren innerhalb einer Sekunde bei ihr aufgerissen, ihre Unfähigkeit, Kinder zu bekommen, die Angst, bald ihre beste Freundin mit Kugelbauch sehen zu müssen, die tiefe Enttäuschung, dass Matthias so gar nicht mitzog und ihre Empörung über die Ungerechtigkeit der Welt. Heulend erklärte sie weiter: “Seit Jahren versuchen wir, ein Kind zu bekommen, und Bea – Bea, meine sogenannte beste Freundin! – hintergeht mich einfach, erzählt mir, wie verabscheuungswürdig sie Kinder findet und wird –schwups- schwanger. Dieses Kind steht mir zu, nicht ihr. Ich warte schon viel länger und ich will das Kind auch!“ Alex hatte sich nun aufgesetzt und schaute ihren Mann erwartungsvoll an. Wenn er jetzt das Falsche sagen würde, wäre das ein Scheidungsgrund, das war ihr klar. Sie zog geräuschvoll ihre feuchte Nase sauber.
Matthias befand sich nun in der Zwickmühle, eigentlich musste er ihr seine Entdeckung aus dem Album mitteilen, doch sollte er ausgerechnet jetzt sagen „Ach Schatz, und ich habe gerade gemerkt, dass es ohnehin vielleicht nicht klappt, weil ich zeugungsunfähig bin“, denn so fühlte er sich gerade. Immerhin war er ja vielleicht mittelbar schuld am Gefühlsausbruch von Alex hier in seinem Arm.
Obwohl er nicht sich bisher nicht als der Feinfühligste gezeigt hatte, konnte er jetzt aus tiefer innerer Überzeugung sagen: „Du hast recht, die Welt ist ungerecht.“ Bevor er weitersprechen konnte, was ihm schwer gefallen wäre, warf sich Alex erneut in seine Arme und schluchzte wieder: „Halt mich mal ganz fest“, wobei sie deutlich hörbar aufheulte. Und zum ersten Mal in der Zeit des Kinderwunsches fühlte sich Matthais ebenso elend wie seine Frau und konnte ihr Gefühl der Unzulänglichkeit nachvollziehen. Auch er empfand die Welt als ungerecht.
Abrupt setzte sich Alex auf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Komme gleich wieder…“ sagte sie, ging ins Arbeitszimmer und von dort aus ins Bad. Sie würde jetzt, am Abend des 9. Tages nach ihrem Eisprung, den ultimativen Schwangerschaftstest machen. Und wenn der nun negativ war, würde sie eigenhändig die Rotweinflasche leeren. „Jawollja“, bestätigte sie sich kopfnickend, als sie den Teststreifen befeuchtete. Sekunden und Minuten vergingen, doch der Streifen zeigte nicht einmal das leiseste Zögern bis zum Kontrollstreifen. Negativ. Sie hatte nicht einmal mehr Tränen für sich und ihre Situation, sie saß einfach nur resigniert mit dem Test in der Hand auf Klothilde und schaute auf das Ergebnis.
„War ja klar, dann eben nicht“, sagte sie laut zu sich und warf den test angewidert in den Mülleimer. Langsam stand sie auf und ging wieder zu Matthias, der unruhig auf sie gewartet hatte.
„Ich habe keine Lust mehr“, sagte sie zusammenhanglos zu ihm und schaute ihn emotionslos an. „Ich will einfach nicht mehr. Ich will nicht mehr im Vier-Wochenrhythmus leben, ich will nicht mehr jeden Monat enttäuscht werden, ich will nicht mehr die ganze Kraft für uns beide aufbringen müssen, ich will auch nicht mehr gegen dich dabei arbeiten. Ich will das alles ganz einfach nicht mehr.“
Matthias hatte tief betroffen den Worten seiner Frau zugehört. Und in diesem Augenblick wurde ihn seine Verantwortung für das Projekt „Kind“ klar, wie sie es einmal scherzhaft genannt hatten – damals, als sie noch dachten, es würde nur ein halbes Jahr dauern. Liebevoll nahm er sie in den Arm und sagte „Hey Älchen, wir machen das ab jetzt gemeinsam, okay?“ Und dabei kamen ihm selbst die Tränen.

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Alex 53
Alex schaute ihn mit tränenverschwommenem Blick und murmelte nur: “Ist mir jetzt auch egal, ich will nicht mehr,“ und fiel wenig später erschöpft vom Weinen und von der Intensität ihrer Gefühle in einen leichten Schlaf. Matthias schaute sich seine Frau genau an: Sie sah müde aus, und das war ihm bisher nicht einmal aufgefallen. Tiefe Augenringe zeichneten sich ab, und ein paar deutliche Falten an der Nasenwurzel und auf der Stirn zeigten ihm, dass sie sich vieles mehr zu Herzen genommen hatte, als er gedacht hatte. Er hatte sie lange nicht mehr so intensiv angesehen.
Vorsichtig fädelte er sich unter ihr vom Sofa, wobei sie einen unwilligen Ton von sich gab; dann hob er sie auf, trug sie in das ehemals gemeinsame Schlafzimmer und legte sie – bedacht darauf, sie nicht zu wecken – auf das Bett und deckte sie zu. Und obwohl er die Katze nicht so recht mochte, holte er Phoebe aus dem Wohnzimmer, wo sie sich eingekuschelt hatte und legte sie Alex in den Arm. „Sie liebt es doch so, wenn sie aufwacht, Phoebe im Arm zu haben“, dachte er bei sich.
Er war unschlüssig, was er nun tun sollte. Einerseits war er müde und hätte sich gerne zu Alex gelegt, sich vielleicht sogar ein wenig an sie gekuschelt, andererseits wusste er genau, dass er noch nicht würde einschlafen können.
Dieser Tag hatte ihm in gewisser Weise den Boden unter den Füßen weggezogen. Bisher war es ihm völlig klar gewesen, dass Alex und er innerhalb der nächsten Monate Nachwuchs erwarten würden, deshalb konnte er die Eile seiner Frau auch schlecht nachvollziehen. Wenn es denn so klar war, dass es kurz bis mittelfristig klappen würde, dann machte doch ein Monat früher oder später gar nichts aus. Erst heute wurde er massiv und schmerzlich von der Erkenntnis getroffen, dass sie die Erfüllung dieses Wunsches vielleicht gar nicht selbst und alleine in der Hand hatten, dass sie vielleicht nie oder wenn, dann nur mit der Hilfe anderer ein Kind würden haben können, und dass es dorthin ein Weg sein würde, der steinig und vielleicht auch gar nicht gradlinig sein würde. Und dass nicht klar war, ob sie ihn überhaupt gemeinsam gehen würden.
Seine Zukunftsperspektive hatte er nie infrage gestellt, er hatte sich immer als Herr seines Schicksal und der Erfüllung seiner Wünsche gesehen, früher oder später würde es schon so geschehen, wie er es geplant hatte. Und nun das…
Matthias saß auf dem Sofa, nahm von Schluck des dunklen Rotweins und war von tiefen Zweifeln erfüllt. Er hatte auf einmal Furcht vor der Zukunft, die ihm unwägbar erschien. Als er heute im Internet googelte, hatte er viele Dinge über Spermienqualität gelesen, aber er hatte sich nur mehr oder weniger spaßhaft dadurch angesprochen gefühlt. Bis heute hatte er über Männer, deren Spermienqualität unterdurchschnittlich war, Witze gemacht, hatte sich gesagt, er als feuriger Liebhaber weit über ihnen stünde, und nun musste er feststellen, dass er zumindest in deutlicher Gefahr war, zu ihnen zu gehören. Zu denen, über die er hinter ihrem Rücken so gerne getuschelt hatte. Zu denen, von denen er immer gedacht hatte, sie würden „keinen hoch bekommen“; erst heute hatte er lernen müssen, dass zwischen ihm und Männern mit schlechten Spermien erst ein Unterschied zutage trat, wenn es um die Zeugung von Kindern ging. Und vielleicht gab es auch gar keinen Unterschied.
Er konnte sich bildlich vorstellen, wie seine Freunde über ihn Witze reissen würden und wie er mitleidige Blicke ernten würde. Aber er konnte sich noch nicht vorstellen, mit Alex darüber zu reden. Zumindest nicht, bevor er wusste, was los war. „Vermutlich male ich mir das jetzt viel zu negativ aus und es ist nichts. Ich hätte das doch bestimmt jetzt schon gemerkt“, beruhigte sich Matthias und schaute noch einmal auf das auslösende Kinderbild, das er langsam in das Album zurücksteckte.
Er atmete tief durch und sagte sich: „Okay, und morgen mache ich einen Termin“. Er wusste zwar noch nicht, wo, aber er wusste, dass er irgendwann eine Klärung würde herbeiführen müssen. „Je her, desto besser…“ fügte er an, doch er spürte eine deutliche Abneigung gegen das anstehende Telefonat. Leise schlich er sich zu Alex ins Bett.
In der Nacht schlief er unruhig. Weniger lag es am Rotwein, der vermutlich zumindest seine Gefühle verstärkte, als an all dem, was ihm durch den Kopf ging. Er träumte von einer Geburtstagsfeier, auf der Alex und er erschienen, und als er eintrat, drehten sich alle zu ihm um und schwiegen. Dann kam ein Freund – war es Jürgen? – auf ihn zu und sagte: “Mensch, ist doch kein Beinbruch, mit ein wenig Schmiere kriegen wir jeden Motor wieder in Gang“, und alle brachen in lautes Gelächter aus. Es war eine furchtbare Nacht, die von derlei Reprisen gefüllt war, und Erholung fand er bis zum frühen Morgen nicht.

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Alex 54
Anders als am Vortag war diesmal Matthais der erste, der wach wurde und aufstand, um Kaffee zu kochen. Phoebe streckte sich mit Katzenbuckel und trabte hinter ihm her in die Küche, um ihr Futter zu erbetteln.
„Na Phoebe, hast du wenigstens gut geschlafen“, fragte Matthias die Katze, als er sich herunterbeugte, um sie beiläufig zu streicheln. Das kam bei ihm selten vor, aber heute brauchte er das weiche Fell als eine Art Trost. Und als Phoebe dann auch noch um seine Beine strich, kauerte er sich sogar eine Weile hin und genoß ihr Zuneigung, die allerdings von Futterwillen gesteuert war. Aber egal, sie gönnte ihm ihre gesamte Zuwendung.
Kurz darauf hielt Matthias Alex einen dampfenden rehbraunen Kaffee unter die Nase, die sie zumindest leicht rümpfte. Alex sah ziemlich erbärmlich aus, ihre Augen waren von Weinen geschwollen und ihre Lider durch die Tränen verklebt. Dabei trug sie noch das rote Kleid vom Vorabend, der so verheißungsvoll begonnen hatte. Zögernd, ob er sie wecken sollte, gab er ihr schließlich eine zarten Kuß auf die Wange und sagte leise: „Guten Morgen mein Schatz, der Kaffee ist fertig.“ Mit diesen Worten verließ er das Zimmer in Richtung Bad.
Im Spiegel konnte er feststellen, dass auch sein Aussehen etwas gelitten hatte, er hatte tiefe Augenringe und sah irgendwie eingefallen aus. „Was für ein grässlicher Abend gestern!“ dachte Matthias und die Erkenntnis der letzten Stunden erweckte ein flaues Gefühl im Magen. Heute würde er in einer Praxis anrufen. Das war er sich und Alex schuldig.
Unter der Dusche ertastete er zum ersten Mal bewusst die fadenartige Narbe unterhalb seines rechten Hodens, auf die ihn Alex einmal angesprochen hatte und die er für ein falsches Zusammenwachsen irgendwelcher Hälften gehalten hatte. Eben wie bei einem Pfirsich, bei dem man ja auch noch die Längsachse markiert sieht. Jetzt war ihm klar, dass dieser Strich wohl etwas anderes zu bedeuten hatte.
Langsam und innerlich kraftlos zog er sich an und deckte den Frühstückstisch, so wie Alex es am Vortag gemacht hatte. Als alles an seinem Platz stand, ging er erneut in das Schlafzimmer und weckte Alex. „Komm, Schatz, das Frühstück ist fertig.“ Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er besonders nett zu ihr sein musste. Zwar konnte er ihre offensichtliche Wut auf Bea nicht so ganz nachvollziehen, denn was hatte Bea mit ihnen zu tun, aber das Gefühl der Ungerechtigkeit des Lebens hatte auch ihn mit voller Wucht getroffen, und das konnte er bei seiner Frau verstehen.
Alex öffnete gequält die Augen und rieb sich Mengen von Schlaf aus den Winkeln. „Moin“, sagte sie niedergeschlagen, “hab’ keinen Hunger.“
„Ach komm, hier ist ein schon fast kalter Kaffee - ich hole dir aber auch schnell eine frischen, wenn du willst – und dann frühstücken wir, okay?“ Matthias schaute Alex aufmunternd an. Allerdings fühlte auch er sich nur halb so munter wie er vorgab, und der Anblick seiner Frau dämpfte seine Stimmung noch mehr.
„Okay, ein frischer Kaffe und ich stehe auf.“ Alex versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nur schwer. „In der Zwischenzeit gehe ich ins Bad…“, mit diesen Worten stand sie auf und ging an ihm vorbei. Im Bad setzte sie sich erschöpft auf das Klo. „Bea ist schwanger, und ich?“ dachte sie noch, und nur wenige Sekunden später sah sie diese verdächtigen bräunlichen Anzeichen auf dem Papier, die ihre gesamte Selbstbeherrschung wieder wegfegte. Neue Tränen flossen, als sie sich eingestehen mußte, dass sie bereits jetzt Schmierblutungen hatte. 10 Tage nach dem Eisprung, das hatte sie noch nie!
Die Tränen mühsam getrocknet kehrte sie mit geputztem Zähnen, kalt gewaschenem Gesicht aber strubbeligen Haaren zu Matthias zurück, der sie wortlos in den Arm nahm. Eine ganze Sturzflut von Tränen waren der Dank und die Worte: „Bea ist schwanger und ich kriege meine Tage.“ Und wieder blieb ihm der Satz „Alex, ich muss dir was sagen“, im Halse stecken. Stattdessen zog er Alex fester und streichelte ihr den Kopf.

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Alex 55

Nach einem eher einsilbigen Frühstück, bei dem sich Alex mit Mühe Bissen um Bissen in den Mund schob und Matthias sie ab und zu durch belanglose Fragen aus ihrem Grübeln aufschreckte, rückte das Treffen mit Bea immer näher. Wie immer, wenn sich Alex unwohl fühlte, zog sie sich besonders gut an, sie zog einen engen fast langen Rock an, der ihre gerundete aber wohlgeformte Figur gut zur Geltung brachte und suchte dazu eine ihrer unvermeidlichen weißen Blusen aus. Heute waren wieder ohne Zweifel hochhackige Schuhe angesagt, die Schmierblutungen machten jede Rücksichtnahme auf eine Einnistung unsinnig. Über die Schulter knotete sie einen leichten Wollpullover, sonst fand sie ihr Out-fit doch zu bieder. Aber so mochte es gehen. Bevor sie losging, wollte sie sich selbst eine Art Rechenschaft über ihre Gefühle abgeben. Was war mit ihr los? Gönne sie ihrer besten Freundin das Glück nicht, Mutter zu werden. Nein, genau das war der Punkt, sie gönnte es ihr nicht. Sie hätte es Hannah gegönnt, die ernsthaft versuchte, wieder schwanger zu werden und deren Denken und Sehnen dem ihren gleichzusein schien, aber nicht Bea. Das musste sie zugeben. Selbst bei Hannah wäre der Eifersuchtsstachel da gewesen, auch wenn sie ihr vollen Herzens Glück gewünscht hätte, aber nicht bei Bea, da stellte sich keine Herzlichkeit ein. Alex war sich relativ schnell darüber im Klaren, warum das so war: Hannah wollte ein Kind, und zwar aus reinen Motiven, sie bezweckte damit nichts als das Kind. Und sie war ihr gegenüber, wenn auch nach einigen Monaten, offen gewesen. Die war genau wie Alex in der Kinderwunschmühle gefangen zwischen erstem Zyklustag, Eisprung und Mens, zwischen Bangen, Hoffen und bitterer Enttäuschung. Und sie versuchte es jetzt auch schon monatelang. Das waren Gründe genug, es ihr zu gönnen. Und all diese Dinge trafen für Bea eben gerade nicht zu: Sie hatte keinen edlen Motive, sondern die Schwangerschaft – Alex vermied hier, an „das Kind“ zu denken, sollte entweder Peter an sie binden oder eine Rache für seine Zurückweisung sein, eben wie man es sah; Bea hatte noch vor ein paar Tagen laut getönt, sie wolle nie und auf keine Fall Kinder, obwohl sie die Pille einfach mal so weggelassen hatte – und sie war einfach so ohne wie ein Hamster im Käfig im 14-Tage-Rhythmus zu leben schwanger geworden. Das konnte Alex ihr nicht verzeihen, auch wenn objektiv betrachtet, wie Matthias sagen würde, das eine mit dem andern natürlich nichts zu tun hatte. „Das weiß ich auch, du Idiot“, sagte sie laut zu ihm, der bereits im Büro angekommen sein
musste; doch Alex’ Gesprächspartner jeder zweiten Zyklushälfte, also der Gesprächspartner im Bauch, war ja nun nicht mehr ansprechbar (eben wegen der
Schmierblutungen) und so musste Matthias herhalten. Und der schwieg dazu. „Feigling, hätte ich mir ja denken können“, raunte Alex ihrem nicht anwesenden Mann zu und ertappte sich bei der Überlegung, dass sie vermutlich das Bild einer absonderlichen Alten abgeben würde, wenn sie so weitermachen würde. „Okay, dann eben nicht mehr...“ sagte sie vage und musste etwas bitter lächeln. Pünktlich um 10 Uhr klingelte sie bei Bea an der Tür, im Magen einen steinschweren Knoten. Fast bevor die den Klingelknopf losgelassen hatte, wurde die Tür aufgerissen und Bea fiel ihr Theatralisch um den Hals. „Alex!“ schluchzte sie. Alex machte sich steif, als sie ihre Freundin umarmte, Tränen standen ihr selbst zu, nicht Bea. Sie riss sich zusammen und drückte Bea fest, wobei sie damit eher ihr schlechtes Gewissen beruhigte, eben vielleicht doch nicht so ein schlechter Mensch zu sein, als Bea Zuneigung zukommen lassen zu wollen. Sie traf in die Wohnung und schloss die Tür. Dann fragte sie leise „Ist Peter da?“. Die Antwort war ein noch viel heftigeres Aufheulen von Bea, die inzwischen die Schulter von Alex Jacke mit Wimpertusche verziert hatte. „Na-hein!“
„Na dann komm, wir setzen und erst einmal und dann erzählst du, okay?“ Alex zog Bea mehr oder weniger ins Wohnzimmer, wobei sie sich gleichzeitig die Jacke auszog und versuchte, Bea von der weißen Bluse fernzuhalten. „Ich hätte es wissen müssen, niemals weiß bei Bea“, dachte sie noch, bevor sie den ersten Fleck sah. Bea hatte nämlich schon unzählige Blusen von ihr mit Make-up oder anderer Schminke verziert, und jedes Mal sagte sich Alex, dass ihr das nicht wieder passieren würde, und ebenso folgerichtig passierte es dann doch, genau wie die Folgerichtigkeit, etwas Helles anzuziehen, wenn es Spaghetti mit Tomatensoße gab. „Warum heulst du denn so? Okay, du wolltest eigentlich kein Kind, aber jetzt ist es nun einmal passiert, und das ist doch das Tollste der Welt...“ begann sie unsicher ein Gespräch. „Aber das ist so überraschend!“
Beinahe hätte Alex dazu gesagt, dass es ja nicht ganz so überraschend hatte sein können, da sie ja selbst die Pille weggelassen hatte, aber sie schwieg. „Was ist denn so schlimm daran, ein Kind zu bekommen? Natürlich, dein Leben ändert sich, aber du wirst sehen, dass es viel schöner und reicher sein wird als jetzt.“ Tausend Mal hatte sich Alex diese Worte selbst gesagt, hatte sich dabei vor Augen geführt, was sie eben nicht haben konnte. „Und andere Frauen wünschen sich ein Kind, und du heulst, weil du eines bekommst. Och Mensch Bea, freu dich doch, Du wirst sehen, das sind jetzt nur die Hormone.“

„Du hast ja keine Ahnung, wie das ist...“herrschte Bea sie. „Nein, da hast du recht, habe ich auch nicht, ich habe ja bekanntlich kein Kind und ich bin auch nicht schwanger“, antwortete Alex, und der Ton in ihrer Stimme hätte Bea zu denken geben müssen, aber die fuhr ungehindert
fort: „Mir ist morgens übel, und über dem Bauch spannt es, und heiß ist mir auch ständig, und...und Peter sagt auch, wir hätten uns doch auch ohne Kind gut verstanden.“ „Das hättest du dir aber früher überlegen müssen, Bea“, sagte Alex mit einer gewissen Härte in der Stimme. „Bei einer Kind kann man eben nicht immer „rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“, da hat man sich für entschieden und basta.“ Sie konnte es kaum glauben, dass sie so etwas überhaupt zu Bea sagen musste. Doch Bea schaute sie nur an und entgegnete: „Da hast du wahrscheinlich recht.“ Und dabei hatte sie so einen merkwürdigen Unterton in der Stimme.

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Alex 56
Alex hielt es nicht lange bei ihrer Freundin aus, sie empfand die Situation ungemütlich und sah sich einer Fremden gegenüber. Konnte Bea denn überhaupt nicht erkennen, was für ein großes Glück sie hatte? Sie hatte sogar die Möglichkeit einer Adoption angesprochen, doch Bea hatte nur geschnaubt und gesagt, sie würde doch nicht für eine Fremde ein Kidn austragen und sich zum Gespött der Leute machen.
Hier war eine für Alex neue Seite von Bea, und Alex merkte, dass sie sie verabscheute. Die Gedanken ihrer Freundin, oder der Frau, die sie für ihre Freundin hielt, widerten sie an. Und nur aus alter Verbundenheit und aus eigenem schlechten Gewissen blieb sie sitzen, wenn Bea ihr immer wieder vorhielt, sie könne die Situation unmöglich beurteilen, da sie ja nicht in dieser Lage sei. „Du hast ja gut reden, einen tollen Job, einen super Mann an der Angel, und wenn es bei euch passieren würde, dann würde dein Göttergatte dich vermutlich auch noch auf Händen tragen“, klagte Bea sie an. „Bei mir ist das was anderes. Ich habe eine tolle Beziehung mit Peter, aber er möchte nicht so gerne ein Kind, also wäre ich sozusagen alleinerziehende Mutter. Alleinerziehend, weißt du überhaupt, was das bedeutet? Alles alleine zu machen? Wenn das Blag brüllt, ist keiner da, der für dich in der Nacht aufsteht, der die widerliche Windeln wechselt. Und mit dem Erziehungsgeld komme ich auch nicht weit. Und – soll ich Peter verklagen, damit er bezahlt? Wir wollen miteinander Spaß haben, verreisen, vielleicht erst einmal ein Haus bauen, wenn es so weit ist, und dann kann ein Kind kommen. Das sagt auch Peter.“ Alex starrte Bea an. Sie konnte kaum glauben, was sie dort hörte, sie wusste nur, dass Bea nicht bereit war, dem Kind einen Platz in ihrem Leben einzuräumen. Bisher noch nicht, aber das würde sich bestimmt ändern, wenn sie es auf dem Ultraschall sah oder wenn es in ihr strampelte. Doch sei hatte für heute genug. „Das hättest du dir alles früher überlegen müssen, aber schlaf noch einmal drüber, dann sieht bestimmt alles anders aus.“ Mit diesen Worten verließ sie das Haus, in dem sie bis heute so viele schöne Stunden verlebt hatte. Vor der Tür nahm sie das Handy heraus und wählte Matthias Nummer. „ Hi Schatz, hast du Zeit?“ „Nicht viel, was möchtest du denn?“ Matthias Stimme klang distanziert, wie immer, wenn sie ihn unpassend im Büro erwischte, und wie immer war sie darüber verletzt. Sie wollte das Gefühl haben, dass ihr Mann immer liebevoll für sie da war, aber jedes Mal bei einem solchen Gespräch wusste sie, dass sie das eben nicht bekommen würde. „Nicht so wichtig, ist schon okay, bis nachher. Ach, du musst nicht wieder mit dem Bus fahren, ich kann dich nachher abholen, okay?“ „Danke, ich sage dir Bescheid, ich hoffe, dass der Wagen heute wieder aus der Werkstatt kommt, ist aber lieb von dir. Tschüss mein Schatz.“ „Tschüss“, sagte sie, doch sie hatte das Gefühl, dass er das schon gar nicht mehr hörte. Sie wählte erneut eine Nummer. „Hannah? Man, bin ich froh, dass du da bist, hast du Zeit für mich? Mir geht’s nicht so toll...ja, auch, wie immer, wenn die Mens kommt, oder?“ Sie lachte schon ein wenig befreit, niemals zuvor hatte sie so locker am Telefon derartig einfache aber tiefgreifende Informationen abgeben können. Doch Hannah wusste, was es hieß, wenn die Tage aller Tage vor der Tür standen, und wie man sich dann fühlte. Unwert, hässlich, dick, dumm, unfähig.
Und besonders nach einem Gespräch, in dem einem immer wieder gesagt wurde, man hätte ja keine Ahnung. Wie sie diesen Spruch haßte. Ob den Leuten klar war, wie sehr das verletzte? Meinten die eigentlich, jeder Golfplatzplaner hätte ein Super-Handikap? Egal, sie kannte ihr Handicap, ihre Behinderung: die Kinderlosigkeit oder besser: die derzeitig gefühlte Aussichtslosigkeit ihres Wunsches nach einem Kind.

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