Julian Nico: Spontangeburt, obwohl nur 30%-ige Chance

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Schwups
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Julian Nico: Spontangeburt, obwohl nur 30%-ige Chance

Beitrag von Schwups »

Geburt des ersten Kindes am 12.12.2005

Unsere erste Tochter lag in Beckenendlage. Nach einem CT-Röntgen teilt mir das Spital mit, dass mein Becken für eine Steisslagegeburt zu eng sei. Am 12.12.2005, eine Woche vor dem ET, erblickte Debora das Licht der Welt. Die Kaiserschnittoperation verlief problemlos. Allerdings hatte ich das Gefühl als Mutter versagt zu haben, da ich mein Kind nicht normal gebären konnte.

Letztes Schwangerschaftsdrittel des zweiten Kindes

Der errechnete Termin des zweiten Kindes war der 18.06.2007. Am 16.04.2007 stellte der Frauenarzt fest, dass es bereits mit Kopf nach unten liegt. Ich freute mich sehr, dass diesmal einer Spontangeburt nichts mehr im Wege stand. Leider verlief die weitere Schwangerschaft nicht so problemlos, wie ich es mir vorgestellt hatte. Am 09.06.2007 stürzte ich im Badezimmer aufs Gesäss. Bei der Notfallkonsultation im Spital wurde dann Polyhydramnion (zuviel Fruchtwasser) festgestellt. Nach dem errechneten Geburtstermin gab ich alles, damit endlich die Fruchtblase platzt bzw. die Wehen einsetzen. Zimt-Nägeli-Eisenkraut-Tee, Frauenwurz-Spagyrik-Spray, drei Wehencocktails mit Rhizinusöl, Schweppes, Rosmarinölbäder und Brustwarzenmassagen, leider ohne Erfolg. Bei der letzten Kontrolle teilte mir mein Frauenarzt mit, dass er die Chancen für eine Spontangeburt unter 50% schätze. Erstens weil Zustand nach Kaiserschnitt, zweitens Polyhydramnion und drittens sei mein Becken gemäss CT vom Nov. 2005 sehr eng. Aber ich wollte unbedingt versuchen, das Kleine spontan zu gebären. Ohne Versuch würde ich lebenslang der verpassten – leider kleinen – Chance nachtrauern. Am Donnerstag, 28.06.2007 hatte ich eine Kontrolle im Spital. Obwohl der Nachwuchs schon zehn Tage überfällig war, fühlte ich mich gut. Ich hätte gerne bis am 14. Tag übertragen, um dem Kleinen die Chance zu geben, sich doch noch ohne Einleitung auf den Weg zu machen. Aber die Oberärztin hatte meine Hoffnung zerschlagen. Da sie am Montag, 02.07.2007 schon drei geplante Kaiserschnitte hätten, sei es von der Logistik her nicht möglich. Entweder könne jetzt gerade eingeleitet werden oder dann morgen früh. Die Oberärztin schätzte die Chance für eine Spontangeburt auf nur noch 30%. Das Hauptproblem sei das enge Becken. Sie hat mir auch gerade noch klargemacht, dass nicht lange mit einem sekundären Kaiserschnitt gewartet werde.

Geburt des zweiten Kindes am 29.06.2007

Leider tat sich auch in der letzten Nacht nichts, und so suchten Tom und ich erst morgens um 6 Uhr die Gebärabteilung des Spitals auf. Nach einem Kaiserschnitt kam nur die Einleitung mittels Infusion in Frage, da man diese gut dosieren könne. Die Zäpfli und Tabletten seien für die Kaiserschnittnarbe ein zu grosses Risiko. Um 7.30 Uhr wurde endlich die Infusion angehängt. Alle 30 Minuten wurde die Dosis wieder um 12 ml erhöht. Leider spürte ich keine Geburtswehen. Die Hebamme meinte, dass infolge des vielen Fruchtwassers die Gebärmutter gar nicht arbeiten könne. Um 11.45 Uhr stellte die Ärztin fest, dass der Muttermund bereits 3 - 4 cm offen war und stach die Fruchtblase auf. Die Hebamme drückte dabei seitlich meinen Bauch zusammen, um das Kleine zu schienen, damit es sich nicht doch noch in eine falsche Lage begeben konnte. Die Ärztin musste eine Schüssel zur Hand nehme. Da kam vielleicht ein Schwall Fruchtwasser raus. Um 13 Uhr waren die Wehen deutlich spürbarer. Liegen auf dem Bett war mir zu schmerzhaft. Einige Minuten setzte ich mich auf den Bettrand und liess die Beine runterhängen, aber auch so war mir nicht wohl. Ich bevorzugte zu stehen, und immer wenn ich spürte, dass eine Wehe im Anmarsch war, hängte ich mich an den Stoffbändel, der an der Decke befestigt war. Kurz war ich auch im Vierfüsslerstand, aber als die Wehe kam, wollte ich mich wieder an den Bändel hängen. Im zwei Minuten-Takt rauf zum Bändel und wieder auf den Boden runter war zu energieraubend. Immer nach einem Stellungswechsel floss wieder Fruchtwasser an meinen Beinen runter. Um 15 Uhr war mir auch das Stehen zu anstrengend. Die Hebamme brachte den Pezzi-Ball. So herrlich, ich hopste auf dem Ball rauf und runter, wenn eine Wehe kam, griff ich nach dem Bändel und lehnte nach hinten. Die Hebamme war eine ältere, ruhige Frau mit über 1000 Geburten. Sie liess Tom und mich die meiste Zeit alleine.

Nach einem Hebammenwechsel war um 15.20 die nächste Kontrolle. Der Muttermund war schon 6 -7 cm offen. Die zweite Hebamme war eine junge, dunkelhäutige Frau. Um 16 Uhr brauchte ich zur Stärkung dringend eine Banane und Schoggiriegel. Phu, war das vielleicht anstrengend. Im zwei Minuten-Takt überrollten mich die Wehen. Um 16.10 Uhr brachte die Hebamme ein wehenanregendes Öl, und ich erhielt von Tom eine Kreuzbeinmassage. Um 16.15 Uhr betraten zwei Ärztinnen das Zimmer und teilten uns mit, dass sie gehört haben, dass die Geburt gut vorankomme, und sie deshalb den Termin für den Kaiserschnitt nach hinten geschoben haben. Sie verliessen den Raum wieder. Die Kontraktionen waren so heftig, und die Schmerzen wurden immer stärker. Ich hängte mich an meinen Bändel, jammerte und schrie. Es drückte so nach unten. Ich hielt es fast nicht mehr aus. Ich bekam auch ein Durcheinander mit dem Luft holen. Konnte nur noch oberflächlich atmen. Ich drückte den Hebammenknopf. Tom gab ich Anweisungen, was er der Hebamme sagen sollte, falls ich vor lauter Schmerzen nicht mehr sprechen könnte. Nach den drei schrecklichsten Wehen trat sie um 16.40 Uhr endlich zur Türe rein.

Die Hebamme stellte fest, dass der Muttermund bereits vollständig offen war. 4 Stunden und 55 Minuten nach der Fruchtblasen-Aufstecherei kamen also die Presswehen. Auf ihren Rat hin kniete ich vor das Bett und stützte den Oberkörper auf dem Bett ab. Diese Stellung war sehr angenehm. Vor allem waren die Presswehen viel weniger schmerzhaft und viel weniger häufig. Endlich konnte ich wieder in Ruhe atmen und genoss die Kreuzbeinmassage. Als das Kleine die enge Stelle in meinem Becken passiert hatte, hüpfte die temperamentvolle dunkelhäutige Hebamme vor Freude herum. Sie sagte mir, dass ich während einer Presswehe tief Luft holen, die Luft möglichst lange nicht rauslassen und dabei fest drücken solle. Wenn möglich, drei Mal während einer Wehe. Um 17.05 Uhr meinte sie, dass ich besser so knien solle, dass mein Hinter die Fersen berühren. Diese Stellung gefiel mir aber nicht, da es mir das Blut in den Beinen abstellte. Es wurde ein Maya-Hocker gebracht. Ich sass auf diesem bequemen Hocker, Tom sass hinter mir auf dem Bett und massierte meine Schultern. Vor mir sassen die Hebamme, eine Praktikantin und die Ärztin auf dem Boden. Nach jeder Kontraktion spürte ich, dass das Kleine wieder ein bisschen den Geburtskanal raufging. Ich hustete und spürte, wie es wieder runter rutschte. Bei der nächsten Wehe sagte mir die Hebamme, dass ich jetzt fest drücken oder husten solle. Um 17.25 Uhr kam der Kopf raus und um 17.27 Uhr lag das Baby vor mir auf dem Boden. Es war ein Sohn. In der sehr langen Nabelschnur hatte es sogar einen Knopf drin. Die Oberärztin, die mit der 30%-Chance-Aussage, kam auch ins Zimmer und liess es sich nicht nehmen, unseren Sohn Julian Nico zu wägen und zu messen. Länge 53 cm, Gewicht 3850 cm und Kopfumfang 36,5 cm.

Um 17.45 Uhr kam die Nachgeburt. Der Sohnemann lag in den Armen von Tom. Anschliessend führte die Ärztin bei mir eine Damminspektion durch. Der Damm war 2. Grades gerissen und musste genäht werden. Es wollte und wollte nicht aufhören zu bluten, deshalb wurde Eis auf meine Gebärmutter gelegt. Julian durfte ich um 18.30 Uhr an die linke Brust nehmen, und er saugte kurz darauf bereits wie ein Weltmeister. Mehrere Male wurde mit voller Kraft auf meinen Bauch gedrückt. Es kam jedes Mal wieder ein Schwall Blut raus. Die Hebamme brauchte mich nur mit dem kleinen Finger zu berühren, und ich verzog vor lauter Schmerzen schon das Gesicht. Um 20.30 Uhr kontrollierte die Oberärztin nochmals den Uterus. Der Blutverlust belief sich auf insgesamt 600 ml.

Am Freitagabend um 21 Uhr wurden Julian und ich endlich auf die Bettenstation gerollt. Wir blieben bis am Dienstagmittag im Spital. Während dem Wochenbett kam die Oberärztin noch zwei Mal vorbei. Meine Geburt war ihre Geburt der Woche, weil es mit einer nur 30%-igen Chance doch spontan geklappt hatte. Die Ärztin meinte, dass eben alles gestimmt habe. Ich, die unbedingt normal gebären wollte, keine Angst hatte, unverkrampft an die Sache ran ging, dadurch seien meine Bänder locker gewesen, und auch das Kind habe super mitgemacht. Aber ohne die zwei tollen Hebammen hätte ich es nicht durchgestanden. Ich rechne der ersten Hebamme hoch an, dass sie nie erwähnte hat, dass die Chancen so klein sind. Sie hat uns im schönsten Gebärzimmer des Spitals einfach machen lassen. Die zweite Hebamme hat mich sehr gut angeleitet und mich mit ihrem Temperament einfach mitgerissen. Einen sehr grossen Dank geht auch an Tom. Er wird wahrscheinlich nie verstehen, warum mir diese Spontangeburt so wichtig war. Aber ich bin froh, dass er nicht versucht hat, mich zu einem geplanten Kaiserschnitt zu überreden.

Merci Tom, dass Du mir am 29.06.2007 von 6 Uhr bis 21 Uhr im Gebärsaal zur Seite gestanden bist. Merci Julian, dass Du bei der von Deiner Mutter so gewünschten Spontangeburt ausgezeichnet mitgemacht hast.
Meitli 12/05
Bueb 06/07

dominicana83

Beitrag von dominicana83 »

ach schwups ist das schön geschrieben...hab gleich ein paar Tränen verdrückt :cry: ..

Schön das du trotz allem spontan gebären konntest. Da ich jetzt bei Alejandro leider einen Not-KS hatte wünsche ich mir fürs nächste Kind nichts mehr als das es dann normal klappt. Ich fühle mich zwar nicht als ob ich versagt hätte, aber ich fühle mich als ob meine Illusionen und Gedanken bezüglich der Geburt geraubt worden sind.

Dein Kleiner war dan doch ein ganz GROSSER! :D

lg

dominicana

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AnCoRoJe
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Beitrag von AnCoRoJe »

Ui, Schwups,
jetzt rollen mir grad die Tränen übers Gesicht. Ich habe eine ganz ähnliche Geschichte und Jella erblickte vor bald 17 Monaten das Licht der Welt.(nachzulesen unter:Jella Emilia-oder Schutzängeli sei dank)
Deine Worte, dass dein Mann wahrscheinlich nie versteht weshalb, die spontan Geburt so wichtig war für dich, kenne ich auch.

Ich freue mich mit dir, dass auch du eine Spontangeburt erleben durftest und ich wünsche euch zu viert einfach alles Gute!
Corina
never regret anything that made you smile

éirebua

Beitrag von éirebua »

musste auch gleich ein paar tränen verdrücken. so schön geschrieben und super dass es mit der spontangeburt geklappt hat, obwohl die meisten nicht daran geglaubt haben. :D gell das ist dann ein noch schöneres gefühl :wink: (hatte bei der 1. zwar keinen ks, aber sonst eine schwierige geburt und bei der 2. fragte mein fa ob ich nicht anstatt einleiten einen ks wolle und auch während der geburt war es noch lange ein thema, hatte dann aber auch ne super hebamme :wink: )

carina69
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Beitrag von carina69 »

Toll, dass es geklappt hat mit der Spontantgeburt!

Mir erging es ganz ähnlich: Nach einem ungeplanten Kaiserschnitt bei meinem ersten Sohn vor über zehn Jahren, war es mir auch sehr wichtig, zu versuchen, spontan zu gebären, obwohl mir die Aerzte gesagt haben, die Chance sei sicher 50 %, dass es nicht klappen würde (einerseits, weil die Erstgeburt ein Kaiserschnitt war, anderseits weil ich inzwischen schon 38-jährig bin). Wie du, hatte ich auch ein gutes Gefühl und keine Angst vor der Geburt. Es war eine heftige, erstaunlich schnelle Geburt und vor allem ein unvergessliches Erlebnis. Und ehrlich gesagt, bin ich auch ein bisschen stolz, dass ich es probiert habe und zusammen mit meinem Sohn sowie dem Beistand meines Mannes und natürlich einer grossen Portion Glück auch so gemeistert habe!
Maxijunior (1996) und Minijunior (2007) und
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sea
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Beitrag von sea »

So schön, hat es mit der Spontangeburt geklappt! Wünsche Euch alles Gute mit Euren Kindern!

Sehr schön geschrieben!

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-Toblerone-
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Beitrag von -Toblerone- »

Liebe Schwups

Deine so intensiv beschriebene Spontangeburt mag ich dir von Herzen gönnen und gratuliere dir zu eurem Julian!

Als zweifache unfreiwillige Kaiserschnittmamma, deren Traum 2x im kalten OPS endete, ist es für mich richtig versöhnlich, von deiner schönen Geburt zu lesen! Danke vielmals für den liebevollen Bericht.
I learned that courage was not the absence of fear,
but the triumph over it.


Nelson Mandela

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Emerelle
Member
Beiträge: 245
Registriert: Mo 10. Okt 2005, 12:57

Beitrag von Emerelle »

Oh Schwupps so schön!!!

Meine erste Geburt hat mit einem Not-KS geendet und ich wünsche mir jetzt beim 2. Kind auch ganz fest eine Spontangeburt.

Dein Bericht macht mir Mut! News kann ich im Januar liefern :wink: :lol:

Liebe Grüsse

Nadj

PS: Meine Tochter kam am 29.06.2006 zur Welt :wink: :lol:
♀ 29. Juni 2006
♂ 12. Januar 2008

♀ 23. Juni 2010

Lieben bedeutet, füreinander zu leben

aysu

Beitrag von aysu »

Liebe Schwups!
Wow, dein Geburtsbericht hat mich wirklich beeindruckt!
Vor allem, dass du dir nicht hast Angst machen lassen von der 30%igen Chance.
Vielleicht würde es vielein Frauen änhlich ergehen, wenn sie sich nicht einschüchtern liessen...
Liebe Grüsse
aysu

Blumenfee

Beitrag von Blumenfee »

ein bericht der mut macht für alle "enttäuschten" kaiserschnittmütter es beim zweiten doch nochmals zu versuchen...
herzlichen dank

Strubel

Beitrag von Strubel »

Liebe Schwups,

auch ich hatte ja einen KS nach Geburtsstillstand bei BEL.

Dein Bericht macht mir grossen Mut, dass es bei einem 2. Kind doch "normal" klappen kann.

Danke und liebe Grüsse strubel

lina`s mami

Beitrag von lina`s mami »

So schön geschrieben.
Super das du eine so tolle Geburt erleben konntest!

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