Am 9. November 2010 hatte ich abends wieder mal ziemliche Rückenschmerzen, nein, eigentlich tat mir das ganze Becken weh. Dazu kam ein unangenehmes Ziehen in der Leiste. Da ich das aber immer mal wieder hatte, dachte ich mir nichts weiteres dabei und versuchte die Verspannung mit einem Kirschkernkissen etwas zu lösen. Dein Papa kam um 18.30 rasch nach Hause um etwas zu essen, bevor er wie jeden Dienstag in den Turnverein ging. Als er mich fragte wie es mir so ging, antwortete ich: „Ich mag nicht mehr, ich will, dass es endlich los geht. Immer diese Schmerzen im Rücken und Becken.“ Er meinte dann, er werde das Natel vorsorglich auf Laut stellen und in der Nähe behalten...“wenns hüt Nacht nid chunt, de chunts morn!“ Na klar...
Mit etwas Schlaf ging es mir dann auch schon viel besser. Um 6.30 Uhr, am 10. November, klingelte Papas Wecker, er stand auf und ass Frühstück, ich wollte noch etwas weiter schlafen. Mein Bauch war etwas unruhig an diesem Morgen, nicht speziell, aber ich spürte zwei mal, dass mein Bauch hart wurde. Als ich hörte, dass Papa im Bad ist, hatte ich plötzlich das Gefühl ich müsse ihm sagen, dass er das Natel griffbereit halten solle. Ich weiss nicht warum, aber ich musste es einfach tun. Ich sass auf der Bettkante als plötzlich das Bett, meine Beine und meine Hände klatschnass waren. Ich rief nach deinem Papa und ich glaube er ahnte sofort, was los war. Er kam ins Zimmer und ich sagte zu ihm „D'Fruchtblase isch platzt“. Er brachte mir erstmal ein Badetuch, damit ich mich etwas trocknen konnte und frage dann was wir jetzt tun müsste. Ich antwortete ihm, dass wir erstmal die Hebammen anrufen müssen. Die Nummer hatte ich vorsorglich schon in meinem Natel gespeichert. Die Hebamme am anderen Ende war sehr nett und sagte zu mir, dass wir uns gemütlich auf den Weg in die Klinik machen sollen und sie dort dann nachschauen werde ob es sich wirklich um Fruchtwasser handelt. Ich hatte natürlich keine Zweifel...diese Menge Wasser konnte unmöglich etwas anderes sein. Ich stand noch rasch unter die Dusche und packte das Klinikköfferli fertig.
Um kurz vor 8 Uhr machten wir uns dann zu zweit auf den Weg ins Spital. War ein komisches Gefühl zu wissen, dass wir nun das letzte Mal zu zweit unsere Wohnung verliessen und zu dritt wiederkommen würden. Um 8 Uhr trafen wir im Bürgerspital ein und ich wurde an das CTG angeschlossen und prompt begannen die Wehen und zwar gleich im 5-Minuten-Takt. Die Hebamme schaute sich rasch die durchnässte Windel an die ich gebraucht habe um das Fruchtwasser, dass immer noch gutschweise auslief, aufzufangen und meinte, da brauche sie nicht weiter zu testen, das sei definitiv Fruchtwasser. Nachdem sie den Muttermund abgetastet hat und feststellte, dass dieser knapp 3 cm offen ist, liess sie uns erst mal eine Stunde alleine am CTG. Eigentlich hätte es nur 30 Minuten sein sollen, da kam aber noch eine andere Geburt dazwischen.
Als sie dann wieder zurück kam hat sie erst mal das CTG ausgewertet und ich durfte mich dann frei bewegen, wobei es mir im Liegen fast am wohlsten war. Frau Maurer, die Ärztin die bei mir die Schwangerschaftsvorsorge gemacht hat, schaute kurz vorbei und zeigte mir eine Position auf dem Ball, welche ich tatsächlich auch als sehr angenehm empfand, jedenfalls eine kurze Zeit. Der Blick aus dem Fenster lenkte mich etwas ab...es war übrigens ein wunderschönen Herbsttag an dem du auf die Welt kamst.
Dein Papa war die ganze Zeit bei mir und versuchte mich aufzuheitern. Nur als er sich kurz ein Snickers am Kiosk holte, liess er mich für ein paar Minuten alleine. Aber sonst wäre er wahrscheinlich vor Hunger noch umgekippt.
Gegen Mittag waren die Wehen aber langsam sehr heftig und ca. alle 2 Minuten. Ich wurde immer erschöpfter und hatte mich inzwischen wieder hingelegt. Im Sitzen hatte ich das Gefühl, es werde mir schwindlig. Immer wieder wurden deine Herztöne und meine Wehen aufgezeichnet und in regelmässigen Abständen hat die Hebamme den Muttermund kontrolliert. Nach dem Mittag war ich mittlerweile so erschöpft, dass wir über Möglichkeiten der Schmerzlinderung sprachen. Da ich nicht gerade ein Fan von alternativen Methoden bin, entschied ich mich für eine PDA. Das war wohl die beste Entscheidung die ich machen konnte, denn ich hatte, wie sogar die Hebamme meinte, sehr giftige Wehen. Zum Glück hatten die Anästhesisten sofort Zeit und kamen hoch.
Als die Chef-Anästhesistin die Nadel hervor nahm, gönnte sich dein Papa dann mal kurz eine Pause und verliess den Raum. Er mag keine Nadeln und konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ich gleich mit einer solchen in den Rücken gestochen werde. Mir machte das zu diesem Zeitpunkt nichts mehr aus. Ich klammerte mich einfach an den Gedanken, dass ich nur noch ein, zwei Wehen so schlimme Schmerzen haben werde und ich danach endlich etwas Ruhe hatte....
An dieser Stelle ein Hoch auf die PDA! Rechts spürte ich zwar noch ein leichtes Ziehen, aber links überhaupt nichts mehr. In den Beinen hatte ich nur ein leichtes Kribbeln, konnte sie aber weiterhin recht normal bewegen. Aus Sicherheitsgründen wäre ich aber natürlich niemals aufgestanden...so viel Vertrauen hatte ich dann doch nicht in meine Beinchen.
Ich nutzte diese schmerzfreie Zeit um mich etwas hinzulegen und versuchte Kraft zu sammeln. Nach gefühlt einer Stunde – ich muss sagen ich hatte überhaupt kein Zeitgefühl mehr und hab auch nicht auf die Uhr geschaut – hatte ich ganz plötzlich wieder starke Wehen und einen unglaublichen Drang zu pressen. Die Praktikantin die meine Geburt begleitete, holte die Hebamme und die untersuchte wieder den Muttermund - 9 ½ cm geöffnet und sie sagte, sie fühle Haare! Ich durfte da sogar selber dein Köpfchen mal anfassen. Ich muss gestehen, ich fühlte nur etwas rundes, glitschiges, aber keine Haare. Egal, es machte mir Mut dich zu berühren. Nur noch ein kleiner Saum Muttermund war im Weg, trotzdem durfte ich endlich mit pressen. Die Hebamme versuchte den Rest Muttermund während dem Pressen weg zu massieren. Das brachte leider nicht ganz den gewünschten Erfolg, also versuchten wir es noch mit Akkupunktur. Anscheinend hat das dann geholfen, auf jeden Fall durfte ich nun mit aller Kraft pressen. Eine Wehe jagte die Nächste und von der PDA merkte ich nicht mehr viel. Es kam nochmals ein Anästhesist der mir etwas nach spritzte. Leider war auch nach 20 Minuten noch keine Linderung eingetreten, also kam der Chef-Anästhesist mit der ermunternden Begrüssung „Ja, sie sehen wirklich so aus als würden sie sehr leiden“ -nein, mir war nur langweilig deshalb wollte ich undbedingt alle Anästhesisten kennen lernen

Ich presste nun mit noch mehr Kraft, aber irgendwie schien es nichts zu bringen. Du kamst einfach nicht weiter. Insgeheim dachte ich, bitte nehmt endlich diese blöde Saugglocke aus dem Schrank und helft mir...da hörte ich die erlösenden Worte des Arztes „noch zwei Presswehen und wenn es nicht weitergeht, dann schneiden wir den Damm“. Na endlich, danke!
Ich erinnere mich die Schere gesehen zu haben, aber vom Schnitt merkte ich überhaupt gar nichts. Dein Papa stand übrigens immer noch neben mir und hielt mir die Hand.
Nach dem Schnitt ging es plötzlich rasend schnell, noch in der selben Wehe flutschtest du raus und lagst da auf dem Bett zwischen meinen Beinen. Für mich herrschte nur noch Stille und ich schaute dich an und weinte. Ich kann mich nicht mehr an Details erinnern, ich sah nur dieses rosa, nasse Bündel Mensch. Ein Mensch den ich und dein Papa geschaffen hatten, der neun Monate in Bauch gewachsen ist und für den ich mein Leben geben würde! Es war 17.43, am 10. November 2010.
Ich hab nicht mal geschaut ob du ein Junge oder ein Mädchen bist, bis dein Papa unter Tränen zu mir sagte „Es isch en Bueb“. Mein Bauchgefühl hat mich also die ganzen neun Monate nicht getäuscht, ich hab es immer gespürt, dass ich ein Junge unter meinem Herzen getragen habe!
Der Arzt wollt schon die Nabelschnur durchschneiden, als die Hebamme in stoppte und meinte, dass vielleicht der frischgebackene Papa diese Aufgabe übernehmen wolle. Dein Papa wollte, nun begann dein Leben auf dieser Welt! Du wurdest kurz etwas abgetrocknet und mir auf den Bauch gelegt. Willkommen bei uns Jamie Lukas! Unglaublich, ich hielt mein grösstes Glück in meinen Armen und du schautest mich an und ich dich.
Die Assistenzärztin nähte währenddessen den Dammschnitt was etwas piekste, aber nach dein Wehen war das schon fast angenehm, ausserdem war eh alles egal, ich hatte nur noch Augen für dich und deinen Papa, der weinend neben uns stand und dich anschaute und streichelte. Dann liessen uns die Ärzte und Hebammen erst mal alleine, damit wir uns als Familie begrüssen konnten. Ich fragte deinen Papa ob er dich mal halten möchte und er nahm dich ganz vorsichtig. Jetzt war es an der Zeit deine Grosseltern und Gotti über deine Ankunft zu informieren. Schliesslich haben sie alle lange auf dich gewartet und mitgefiebert. Du, Jamie, bist nun der neue Mittelpunkt in unserem Leben und wir lieben dich über alles! Wir danken dir, dass du uns als deine Eltern ausgesucht hast und wir werden alles geben um dich glücklich zu machen!