Es war der Montag, 29. April 2013, abends gegen 21 Uhr. Papa wollte seine beiden Kleiderschränke ausmisten. Er hat also fleissig Pullover und T-Shirts herausgefischt und angezogen. Ich musste beurteilen, ob das entsprechende Kleidungstück weiter im Schrank bleiben darf – oder ob es der Kleidersammlung gespendet wird. Eigentlich war es aber egal, was ich sagte – Papa wollte ohnehin alle seine Sachen behalten.
Auf jedem Fall sass ich mit meinem dicken Bauch auf unserem weissen Esszimmerstuhl. Plötzlich bemerkte ich, wie es zwischen meinen Beinen nass wurde. Erst dachte ich mir nichts dabei – deine Geburt wäre ja erst für den 10. Juni vorgesehen gewesen. Ich wischte mir alles weg und Papa machte weiter mit seiner Modenschau. Doch es hörte nicht auf – es wurde wieder nass und wieder und wieder.
Ich war schon ein bisschen besorgt und auch Papa stimmte zu, dass es besser wäre, mal im Krankenhaus anzurufen. Dort hiess es, es wäre besser, wenn wir herkommen würden. Sechs Wochen vor dem errechneten Termin (SSW 34+0) dachten wir aber nicht im Traum daran, dass du schon so bald bei uns sein würdest. Entsprechend war auch keine Tasche gepackt. Ich habe mich noch kurz gekämmt und mir was angezogen. Dann sind wir beide ins Spital gefahren.
Dort waren wir Gott sei Dank schon angemeldet. Wir kamen auf die Geburtsstation, wo eine Ärztin eine Ultraschalluntersuchung machte und die abgehende Flüssigkeit überprüfte. Kurze Zeit später war klar: Es handelt sich um Fruchtwasser. Wir gehen hier ohne dich nicht mehr raus, sagten die Ärzte. Das Infektionsrisiko ist zu hoch. Zudem ist die 35. Schwangerschaftswoche schon zu weit fortgeschritten. Ausserhalb von Mamis Bauch bist du mit einer geplatzten Fruchtblase besser aufgehoben. Die Ärztin schätzte dein Gewicht im Ultraschall auf 2,5 Kilo.
Irgendwie fühlte ich mich wie in einer anderen Welt. Sämtliche Alarmglocken hätten bei mir schrillen sollen. Aber nichts dergleichen geschah. Ich fühlte mich gut und machte mir überhaupt keine Sorgen. Papa hat mir später erzählt, dass er sich schon seine Gedanken machte – immerhin würdest du als Frühgeburt zur Welt kommen.
Wir kamen in einen Kreisssaal. Da war es ungefähr 22 Uhr. Da ich keinerlei Wehen hatte und in dem Spital in dieser Nacht Hochbetrieb herrschte, sagte uns die Hebamme, dass wir vielleicht nicht bleiben könnten und in ein anderes Zimmer verlegt würden. Das blieb uns allerdings erspart. Papa fuhr erst einmal nach Hause und packte meine Krankenhaustasche. Die Liste, die ich ihm mitgab, war ellenlang. Naja, ich wusste ja, dass ich das wenigste davon brauchen würde. Ich wollte es einfach gerne bei mir haben. So auch meinen heissgeliebten Nagellack. Papa brachte aber prompt die falsche Farbe.
Dafür bat ich ihn darum, das Bastelset für den Gipsbauch mitzubringen. Ich war sehr enttäuscht, dass ich nun keine schönen Bauchfotos von dir mehr machen konnte. Eigentlich hätte ich ja für den 30. April abgemacht, noch welche zu schiessen. Stattdessen sollte das der Tag deiner Geburt werden. Dafür wollte ich unseren Schwangerschaftsbauch unbedingt noch in Gips verewigen.
Papa schlief dann ein paar Stündchen auf dem Boden. Mami kriegte kein einziges Auge zu. Am Dienstagmorgen hatte ich noch immer keine Wehen. Man wollte die Geburt einleiten. Ich bat jedoch um ein bisschen Gnadenfrist. Erst wollten wir es mit natürlichen Mitteln (Akupunktur und Tee) versuchen. Zudem wollten wir ja noch den Gipsbauch basteln. Dass die Hebammen und Ärzte uns dafür das OK gaben, grenzt für mich noch heute an ein Wunder – immerhin haben Papa und ich dabei den ganzen Kreisssaal vollgesaut.
Am späteren Vormittag schaute noch dein Gotti vorbei. Sie wünschte uns viel Glück und brachte Geschenke mit – unter anderem diese tolle, süsse Schnecke, die mit deinem Namen und Geburtsdatum noch heute zuhause an unserem Balkon hängt. Wir gingen noch ein bisschen nach draussen und liefen eine Runde ums Spital. Ich spürte jetzt ein klitzekleines bisschen Wehen – allerdings nichts, was erwähnenswert wäre.
Am Dienstagmittag liessen uns die Ärzte keine Wahl mehr. Es war zu gefährlich, dich in meinem Bauch zu lassen. Die Wehen wurden mittels Wehentropf eingeleitet. Oh, das tat ja so weh. Die Wehen wurden immer schneller, immer heftiger. Ich hatte schon nach kurzer Zeit überhaupt keine Pause mehr. Die nächste Wehe kam, bevor die vorherige zu Ende war. Die Hebamme überprüfte die Öffnung des Muttermundes. Er war erst knapp 3 Zentimeter offen. Wäre er bei 8 Zentimetern gewesen, hätte ich die Sache vielleicht durchgezogen.
Aber irgendwie war bei dieser Geburt schon so viel anders gelaufen, als ich es mir vorgestellt hatte, dass ich einer PDA noch so gerne zustimmte. Die Spritze in den Rücken war dann allerdings fast das allerschlimmste der ganzen Geburt! Nicht, weil sie so wehtat, sondern weil dein Mami einfach ein furchtbarer Schisshase war und sich ganz grausam fürchtete vor einer Spritze in den Rücken.

Die PDA wirkte sofort und ich war erleichtert. Ich zitterte zwar am ganzen Körper. Doch ich fühlte keine Schmerzen mehr. Ich hoffte, es ging dir gut. Eine PDA ist ja für ein Baby auch keine einfache Angelegenheit. Dafür konnte ich noch etwas Znacht essen und Papa brachte vom Krankenhauskiosk Mohrenköpfe und Schoggistängeli. So ging der Muttermund bis um etwa 19 Uhr auf 8 Zentimeter auf – ohne dass ich es gross spürte.
Die Wirkung der PDA liess ab diesem Zeitpunkt wieder nach. Und die Hebamme erklärte mir, dass die Narkose bei den Presswehen nicht wirken würde. Ich bekam also wieder richtig heftige Wehen. Ich wechselte oft die Stellung, hockte auf den Knien, stand auf, legte mich wieder hin. Liegend fühlte ich mich irgendwie am Wohlsten, kniend hatte ich am wenigsten Schmerzen.
Zuletzt blieb ich liegen. Irgendwann hiess es, ich solle pressen. Bei jeder zweiten Wehe. Papa war ein Fels in der Brandung. Nie hätte ich geglaubt, dass er so ruhig und souverän bleiben würde. Ich war irgendwie in meiner eigenen Welt. Papa und die überaus attraktive, junge Hebamme flöteten im Chor, wie toll ich es mache. Jajaja, dachte ich, ihr müsst hier auch nicht liegen.

Ich presste und presste und presste – und nichts geschah. Inzwischen war es nach 22 Uhr – wir waren schon seit 24 Stunden in diesem Kreisssaal. Plötzlich war der Raum voller Ärzte und Hebammen. „Wir holen ihr Kind jetzt raus“, sagte eine Ärztin. Ich konnte nicht mehr. Mir war ein bisschen alles egal. Sorgen machte ich mir keine. Im Nachhinein war es ja logisch, dass die Ärzte dich nicht rausholten, weil mir die Geburt zu anstrengend war.
Ich hörte ein ekelhaftes Geräusch – später sollte sich dieses als Dammschnitt herausstellen. Eine Frau langte mit beiden Händen unten rein, eine andere warf sich mit ihrem ganzen Gewicht auf meinen Bauch. Es ging gefühlte 2 Minuten und dein Köpfchen war draussen. Kurz danach folgte auch der Rest. Ich werde mich immer daran erinnern, an dieses „Plop“, wie du herausgeflutscht kamst und mein Bauch in sich zusammenfiel. Es war der 30. April 2013, 22.31 Uhr. Geschafft! Du wurdest 49 Zentimeter gemessen und hast 2550 Gramm auf die Waage gebracht. Ein stolzes Gewicht für 6 Wochen zu früh.
Du hast sofort geschrien. Papa kappte mit einem beherzten Schnitt deine Nabelschnur und du hast den Kinderarzt angepinkelt. Endlich durftest du auf meinem Bauch liegen. Papa hatte Tränchen in den Augen und auch ich war ganz gerührt. So ein unbeschreibliches, tolles Gefühl. Die Ärzte sagten uns, dass deine Herztöne schlecht geworden seien. Zudem seist du steckengeblieben. Deshalb haben sie dich geholt. Mir war das alles gar nicht bewusst. Ich war wie in einer Blase.
Die Nachgeburt bemerkte ich fast gar nicht. Das Nähen des Dammschnitts war erträglich. Du lagst auf meinem Bauch und bewegtest dich in Richtung Brustwarze. Es war so eindrücklich, wie du das schon so genau wusstest. Der Kinderarzt sass über zwei Stunden mit uns im Kreisssaal. Er ahnte wohl, dass du als Frühgeburt nicht nach ein paar Tagen mit uns nach Hause gehen würdest. Deshalb liess er uns diese Zeit des Kennenlernens.
Später bekamst du deine erste Windel. Papa und der Kinderarzt haben sie dir ganz stolz angezogen – die Hebamme hat sie sofort wieder ausgezogen. Der Nabel gehöre über die Windel, monierte sie. Dann durftest du auch bei Papa auf dem Bauch liegen. Mami durfte sich duschen. Das war ganz herrlich. Mir ging es sofort nach der Geburt prima.
Du bekamst süsse kleine Kleidchen und durftest in einem kleinen Bettchen mit Mami auf die Wochenbettstation. Um etwa 3 Uhr morgens waren wir da. Mami war nudelfertig. Deshalb nahmen die Krankenschwestern dich mit, damit ich etwas schlafen konnte. Wenn nur meine Zimmernachbarin nicht so geschnarcht hätte.
Am Morgen erfuhr ich dann, dass man dich auf die Neonatologie gebracht hat. Dir ging es doch nicht so gut, wie ursprünglich angenommen. Als ich zu dir kam, war das kein schöner Anblick. Du trugst nur deine Windel und überall waren Kabel. So lagst du in einem Wärmebettchen. Dafür hattest du deine private Krankenschwester, da du das einzige Baby warst auf der Neo.
Überhaupt war alles so gspässig. Du warst da. Auf der Neo. Sechs Wochen zu früh. Ich war irgendwie noch gar nicht bereit. Die Hormone quollen über. Ich hätte mich so gerne noch zwei Wochen mit meinem Bauch aufs Sofa gelegt und mich an den wunderbaren Gedanken, Mama zu werden, gewöhnt. Nun warst du schon da. Ich hatte auch ein schlechtes Gewissen. Ich überlegte hin und her, was ich falsch gemacht hatte. Warum platzte diese olle Fruchtblase? Keiner konnte es mir sagen. Ein Infekt wurde ausgeschlossen.
Insgesamt lagst du drei Wochen und zwei Tage auf der Neo, dann durftest du endlich nach Hause. Was haben wir uns gefreut. Nun wirst du schon ein Jahr alt – an die Zeit damals können wir uns zwar noch gut erinnern. Sie ist aber auch soooooo weit weg. Wir können es gar nicht glauben, dass du so ein hilfloses, kleines Häufchen Mensch warst. Schau, was aus dir geworden ist: ein herziger, frecher, lustiger, lebhafter, cleverer kleiner Junge, der sich nicht aufhalten lässt. Und den wir über alles lieben!
Anmerkung: Ich habe den Text im März 2014 verfasst. Ich möchte noch sagen, dass ich keine Sekunde einer verpatzen Geburt hinterhergetrauert habe. Ich war nur anfangs etwas traurig und verwirrt - was ich auf den Baby Blues schob. Seither geht es mir prima und ich finde die Geburt die schönste, die wir nunmal haben konnten. Es war UNSERE Geburt und sie war perfekt, so wie sie war. Auch wenn andere vielleicht daran zerbrochen wären. Ich denke, es ist wichtig, immer daran zu denken, dass eine Geburt anders verlaufen kann als man sich das wünscht, dass sie deswegen aber nicht weniger wertvoll ist!